In den letzten vier Wochen gedachte die tamilische Diaspora den Kämpfer*innen Thileepan Anna und Malathi Akka, die den tamilischen Freiheitskampf in seiner frühen Phase entscheidend geprägt haben. Mit Kundgebungen, Kulturveranstaltungen und Ausstellungen in rund 20 Städten wurde an die Geschichte des tamilischen Unabhängigkeitskampfes und die Kriegsverbrechen des sri-lankischen Regimes erinnert.
Seit Ende des Bürgerkrieges 2009, der mit einem Genozid an der tamilischen Bevölkerung unter stillschweigender Duldung der internationalen Gemeinschaft endete, gelten über 100.000 Tamil*innen als vermisst, die aktuelle Zahl der politischen Gefangenen ist unbekannt. Bis heute wurde kein einziger Kriegsverbrecher verurteilt, im Gegenteil: bis zum Präsidenten Gotabaya Rajapaksa bekleiden zahlreiche ehemalige Militärs hohe Staatsämter auf Sri Lanka.
Thileepan Anna (bürgerlicher Name: Rasiah Parthipan) war ein junger Medizinstudent, der sich dem Widerstand angeschlossen hatte, an dessen Entstehung, wie auch in vielen anderen Ländern, die Student*innenbewegung großen Anteil hatte. Nachdem die zahllosen Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Unterdrückung der tamilischen Minderheit keine Verbesserung der Lebenssituation, sondern brutale Repression von Seiten des sri-lankischen Regimes zur Folge hatte, formierte sich Mitte der 70er Jahre die sozialistische Befreiungsorganisation Liberation Tiger of Tamil Eelam (LTTE). Sie kämpfte für einen unabhängigen Staat im Norden und Osten der Insel, in dem soziale Ungleichheit und nationaler Chauvinismus überwunden werden sollten.
Hungerstreik sollte indische Truppen unter politischen Druck setzen
Thileepan wurde schnell zu einer führenden Figur des politischen Flügels der revolutionären Bewegung. Als das Friedensabkommen zwischen Indien und Sri Lanka nicht die erhofften Verbesserungen der katastrophalen Lage der Bevölkerung in den tamilischen Gebieten brachte, trat Thileepan am 15. September 1987 vor dem Hindu Tempel Nallur in den unbefristeten Hungerstreik. Denn die indischen Truppen (IPKF) marschierten in die tamilischen Gebiete ein und versuchten diese zu besetzen, statt wie angekündigt, für Sicherheit zu sorgen und zu einem Ende des Bürgerkrieges beizutragen.
Der Hungerstreik sollte für internationale Aufmerksamkeit sorgen, um das Regime in Colombo und die indischen Truppen unter politischen Druck zu setzen. Thileepan forderte die Entmilitarisierung der tamilischen Gebiete im Norden und Osten, die Freilassung politischer Gefangener und ein Ende der Kolonialisierung durch die singhalesische Bevölkerungsmehrheit, bis eine Übergangsregierung in Tamil Eelam gebildet würde. Sowohl die Forderungen als auch zahlreiche Appelle aus der Bevölkerung an die IPKF verhallten ungehört, sodass Thileepan am 26. September 1987 an den Folgen des Hungerstreiks starb. Seine letzten bekannten Worte sind: „Ich bin zuversichtlich, dass unser Volk eines Tages die Freiheit erlangt. Es gibt mir eine große Zufriedenheit und Genugtuung, dass ich der Verantwortung gegenüber meiner Nation gerecht werde.“
Frauen aktiv am Freiheitskampf beteiligt
Zur gleichen Zeit kämpfte die junge Revolutionärin Malathi Akka (bürgerlicher Name: Sahajesili Pethurupillai) in den Reihen der bewaffneten Formationen der LTTE. Seit Beginn der Kämpfe für ein sozialistisches Tamil Eelam konnten Frauen erstmals aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, erhielten Bildung, ergriffen Berufe und brachten sich aktiv in alle Bereiche des Freiheitskampfes ein.
Im diesjährigen Gedenkflugblatt der Tamilischen Frauenorganisation e.V. heißt es dazu: „Ein zentrales Element der neuen Gesellschaft sollte die Emanzipation der Frauen sein. Das feudale Kastensystem wurde schrittweise abgeschafft, Kampagnen gegen die patriarchale Mitgift bei Eheschließungen durchgeführt. Frauen erhielten Bildung und konnten in allen Berufen arbeiten, was eine große Errungenschaft im Gegensatz zur sozialen Situation vor dem Beginn der Revolution gewesen ist. Wie selbstverständlich kämpften auch die Frauen für die Verteidigung der erreichten Fortschritte und gegen die sri-lankischen Invasoren.“
Malathi wurde im Alter von 20 Jahren während eines Gefechtes mit den indischen Truppen verwundet und setzte ihrem Leben mit Hilfe einer Cyanid-Kapsel, die alle Kämpfer*innen erhielten, ein Ende, um Folter und Misshandlungen zu entgehen. So wurde sie zum Symbol der Freiheit und Emanzipation tamilischer Frauen auf Sri Lanka, in Indien und der ganzen Welt. Ihr Todestag am 10. Oktober 1987 gilt neben dem 8. März als weiterer Aktionstag gegen patriarchale Unterdrückung.
Drei Jahre nach dem Einmarsch mussten die indischen Truppen sich aufgrund des anhaltenden Widerstandes aus den tamilischen Gebieten zurückziehen.
*Henning von Stoltzenberg ist Mitglied im Bundesvorstand Rote Hilfe e.V.