Die Demokratische Partei der Völker (HDP) startet am Montag einen fünftägigen Sternmarsch nach Ankara. Ausgangspunkte sind Edirne in der Westtürkei, wo der ehemalige HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş seit über dreieinhalb Jahren als politische Geisel im Gefängnis festgehalten wird, sowie Colemêrg (türk. Hakkari) im äußersten Osten des türkischen Staatsgebiet, wo Leyla Güven zur Abgeordneten in die türkische Nationalversammlung gewählt wurde. Leyla Güven, die gleichzeitig Ko-Vorsitzende der zivilgesellschaftlichen Organisation DTK ist, und ihrem Fraktionskollegen Musa Farisoğulları ist vergangene Woche das parlamentarische Mandat entzogen worden.
Der HDP-Abgeordnete Tayyip Temel hat sich gegenüber ANF zu dem geplanten Marsch auf Ankara geäußert. Er betont, dass es bei der Aktion nicht nur um den Mandatsentzug von Abgeordneten geht, sondern vielmehr um eine Initiative, um den Machtmissbrauch der Regierungspartei AKP zu stoppen.
Auf die Frage, ob die ständige Repression gegen gewählte Repräsentant*innen und die Usurpation HDP-geführter Rathäuser durch den türkischen Staat zu einer Lähmung innerhalb der kurdischen Bevölkerung und der Demokratiebewegung geführt habe, antwortet der HDP-Abgeordnete aus Wan: „Auf keinen Fall, denn die HDP und die politische Tradition, für die die HDP steht, basieren nicht auf Ämtern. Jede Stimme für die HDP und jede Teilnahme an Veranstaltungen und Aktivitäten steht für eine politische Positionierung. Denken Sie zum Beispiel an die Kommunalwahlen vom 31. März 2019, bei denen die Bevölkerung neue Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gewählt hat. Bereits im Vorfeld hatten Regierungsvertreter unverblümt angekündigt, dass wieder Zwangsverwalter in den Rathäusern ernannt werden. Dem kurdischen Volk wurde damit signalisiert, dass es wählen kann, wen es will, aber seine Stimmen keinen Wert haben, weil der Wählerwille ohnehin nicht anerkannt wird. Und was hat Volk getan? Es hat trotzdem nicht die AKP gewählt und ein weiteres Mal seinen Willen bekundet. Die Menschen sind äußerst wütend über die Zwangsverwalter und den Entzug der Mandate von Abgeordneten. Dadurch entsteht das Bedürfnis, die Machthabenden zur Rechenschaft zu ziehen und sich hinter die HDP zu stellen.“
Bei dem am 15. Juni beginnenden Demokratiemarsch soll nicht nur der Mandatsentzug thematisiert werden, sagt Temel weiter: „Wir haben bereits ein Positionspapier veröffentlicht. Es muss im Rahmen eines breiten Demokratiebündnisses auf gesellschaftlicher Ebene Widerstand gegen die schlechte Regierung der Türkei und ihren Machtmissbrauch geleistet werden. Alle sind wütend auf die Regierung, aber alle sind damit allein. Daher müssen die Menschen zusammenkommen und auf effektive Weise Rechenschaft einfordern. Während wir daran gearbeitet haben, ist unseren Abgeordneten das Mandat entzogen worden. Dadurch ist der Bedarf entstanden, noch schneller und mit einem noch wirksameren Plan gegen diesen politischen Putsch vorzugehen.“
Zu dem Demokratiemarsch erläutert Temel: „Wir werden die Türkei nach Colemêrg und Kurdistan nach Edirne bringen. Damit wollen wir darlegen, wie wir uns die Türkei vorstellen.“ Auf dem Weg sollen alle Bevölkerungsgruppen ihre eigenen Lösungsvorschläge hervorbringen können.
Unterdessen hat das türkische Innenministerium eine Anordnung erlassen, auf deren Basis mehrere Provinzen abgeriegelt und alle öffentlichen Veranstaltungen verboten worden sind. Damit soll der Demokratiemarsch der HDP verboten werden. Tayyip Temel gibt sich trotzdem zuversichtlich: „Der Demokratiemarsch findet für die Zukunft der Türkei und für einen demokratischen Neuaufbau statt. Wir sind entschlossen, unsere Initiative allen Hindernissen zum Trotz durchzuführen.“