HDP legt Roadmap für demokratischen Aufbruch vor

Durch den autoritär-autokratischen Staats- und Regierungskurs schlittert die Türkei immer tiefer in die Krise. Um eine demokratische Entwicklung des Landes nachhaltig zu fördern, bedarf es eines neuen demokratiepolitischen Ansatzes, sagt die HDP.

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat ihre mit Spannung erwartete Roadmap mit strategischen Richtlinien gegen den autoritär-autokratischen Staats- und Regierungskurs unter Recep Tayyip Erdoğan vorgelegt. Die einzelnen Schritte dieses Fahrplans werden in einem Neun-Punkte-Plan zusammengefasst, der am Montag von den Ko-Vorsitzenden Pervin Buldan und Mithat Sancar in Istanbul vorgestellt wurde. Darin spricht sich die HDP für einen demokratischen Aufbruch aus und ruft gesellschaftliche Interessengruppen auf, die gemeinsamen Kräfte zu bündeln. Die Türkei schlittere in die wohl größte Krise ihrer jüngeren Geschichte: „Tiefe soziale, politische und wirtschaftliche Spannungen, die das ganze Land fest im Griff haben, werden durch die Corona-Pandemie weiter verschärft. Die Politik der Erdoğan-Regierung führt nur zu einer weiteren Destabilisierung und der Zunahme von Armut, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung der Bevölkerung.“ Um eine demokratische Entwicklung der Türkei nachhaltig zu fördern, bedarf es eines neuen demokratiepolitischen Ansatzes, so die HDP.

„Wir geben nicht nach. Uns ist bewusst, dass diese Krise den Völkern auch die Gelegenheit bietet, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, solange wir entschlossen Schulter an Schulter stehen und gemeinsam kämpfen. Gelingt es uns, unseren Willen zu vereinen und unseren Kampf auszuweiten, werden wir in der Lage sein, uns befreit aus der Krise zu führen”, heißt es in dem Strategieplan. Dass von der Gesellschaft geschaffene, materielle und ideelle Möglichkeiten nur dafür genutzt werden, die Profitgier einer unersättlichen Minderheit zu stillen, sieht die HDP als Brandherd der Krise. Das Präsidialsystem, durch das Erdoğan so große Befugnisse wie noch keine gewählte Staatsperson in der Geschichte der Türkei hat, sei die Hauptursache für die politische Krise und Lösungslosigkeit von Konflikten. „Als HDP rufen wir alle demokratischen Kräfte und die gesellschaftliche Opposition der Türkei auf, zur Entschärfung dieser Situation das von unseren Völkern von unten nach oben geknüpfte Demokratie-Bündnis auf einer erweiterten sozialen und politischen Basis neu aufzubauen.”

Die neun Punkte im Strategieplan der HDP wurden wie folgt festgeschrieben:

1-Gemeinsam für Recht-Gesetz-Gerechtigkeit: Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, basierend auf allgemeinen universellen Rechtsgrundsätzen und Gerechtigkeit, unparteiische und unabhängige Justiz, das Recht auf Freiheit, Gleichheit und ein faires Verfahren;

Zusätzlich zu den genannten grundlegenden Freiheits- und Gleichheitsrechten die Beendigung von Verstößen gegen Kinderrechte, Frauenrechte, Rechte von Arbeiter*innen, Flüchtlingsrechte, das Recht auf Frieden und ökologische Rechte, die durch internationale Konventionen garantiert sind; bestehende Vorbehalte zu Konventionen zurückziehen und ihnen einen Verfassungsstatus geben;

2-Gemeinsam für eine demokratische Verfassung: Schutz und Stärkung der sozialen Einheit auf Grundlage einer gleichberechtigten und freien Bürgerschaft; eine demokratische Verfassung, in der alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, die auf universellen Grundrechten und Grundfreiheiten beruht und ethnische, religiöse und kulturelle Unterschiede respektiert;

Der Staat hat sich in seiner Verfassung zu verpflichten, allen Religionen und Weltanschauungen neutral zu begegnen und die Religionsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten;

3-Gemeinsam für die Demokratie: Gewaltenteilung innerhalb der Zentralregierung; der Aufbau einer sozialdemokratischen Republik auf Grundlage einer pluralistischen, libertären und demokratischen Parlamentsregierung, die auf partizipative Demokratie auf kommunaler und regionaler Ebene und der Dezentralisierung der Entscheidungskompetenzen baut;

4-Gemeinsam für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage: Ein Konsensansatz für eine gesellschaftliche Versöhnung, der auf der Anerkennung der Existenz und Rechte des kurdischen Volks sowie aller unterdrückten und stigmatisierten Gruppen und Kulturen basiert und Dialog und Verhandlung zur Grundlage hat;

5-Gemeinsam alle Kriege beenden: Eine friedensorientierte Außenpolitik für faire und friedliche Lösungen internationaler Konflikte, die Diplomatie und Verhandlungen zwischen Völkern, Dialog und Verhandlungen zwischen Staaten priorisiert und alle Arten von militärischen Interventionen, Kriegen und Konflikten beendet;

6-Gemeinsam für Arbeit und Nahrung: Eine wirtschaftliche Entwicklungspolitik, welche die grundlegenden sozialen und ökonomischen Bedürfnisse aller Bürgerinnen und Bürger garantiert; verhindert, dass die Folgen der Wirtschaftskrise auf die Schultern der Arbeiter*innenklasse abgeladen werden und wirksame Formen des Kampfes gegen Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Maßnahmen entwickelt; die sich nicht auf Wachstum, Gewinn oder Plünderung konzentriert sondern an der Natur und den Menschen orientiert.

7-Gemeinsam für die Frauen: Gesetzliche Vorkehrungen zur Beendigung aller Formen von Gewalt und Diskriminierung von Frauen, die um die Befreiung aus dem Kreislauf der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit kämpfen; Maßnahmen zur wirksamen Umsetzung der Grundsätze der Gleichstellung und Freiheit von Frauen;

8-Gemeinsam für die Jugend: Jungen Menschen den Weg ebnen, über ihre Zukunft frei zu bestimmen; politische und administrative Regelungen, die jungen Menschen Mitspracherecht und Entscheidungsfreiheit in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Kultur und Alltag ermöglicht; autonome Universitäten, die diese Grundsätze vertreten und für ein Verständnis der wissenschaftlichen, freien, kreativen und innovativen Bildung in der Muttersprache stehen, deren System auf Infragestellung, Analyse, Forschung, Praxis und Erfahrung basiert und auf allen Ebenen von Schüler*innen und Erziehungsberechtigten mitgetragen wird;

9-Gemeinsam für die Natur und das Leben: Eine gesellschaftspolitische Ausrichtung mit dem Ziel, eine demokratisch-ökologische Gesellschaft zu erreichen, die auf der Verteidigung der Lebensräume von Natur und Tieren vor kapitalistischer Ausbeute basiert und auf allen Ebenen von sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsplänen eine ökologische und demokratische Zukunft als zentralen Faktor betrachtet.