Sie kamen aus vielen Ländern ganz Europas, teilweise sogar aus Lateinamerika. Tausende Menschen zogen am Samstag durch Straßburg, um an der diesjährigen Großdemonstration gegen das internationale Komplott gegen Abdullah Öcalan teilzunehmen. Die Demonstrierenden schwenkten kurdische Fahnen und trugen Portraits des Begründers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Ihre zentrale Forderung: Die Freilassung Abdullah Öcalans und eine demokratische Lösung der kurdischen Frage.
Den Auftakt der Demonstration bildete ein Zusammentreffen mit dem Sternmarsch zu der alljährlichen Großveranstaltung in Straßburg, dessen Ausgangspunkte Deutschland und die Schweiz waren. Vor dem Bahnhofsgebäude ging es kämpferisch los, das Ziel war die Fernbus-Haltestelle am Rande des zwei Kilometer entfernten Parc de l'Étoile. Dort gab es zunächst eine Kundgebung, bei der Reden gehalten wurden.
Die Internationalist:innen trugen auch ihre eigenen Fahnen
Vier Teilnehmende des internationalistischen Marschs, die aus Deutschland, Katalonien, dem Baskenland und Ecuador angereist waren, trugen ein gemeinsames Statement vor. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Rolle des Westens bei der Entführung Öcalans und der Aufrechterhaltung des Isolationssystems auf Imrali gerichtet. Öcalans menschenunwürdige Haftbedingungen verdeutlichten, dass seine Ideen und Analysen für freie Gesellschaften von der Staatengemeinschaft nach wie vor als große Bedrohung für das kapitalistische, patriarchale System angesehen würden. Daher würden auch sie sich dafür einsetzen, die Person Abdullah Öcalan von der Außenwelt zu isolieren und Kämpfe für seine Freiheit zu unterdrücken. Diese Tatsache habe sich zuletzt durch polizeiliche Schikanen auf der Demonstrationsstrecke ausgezeichnet, hieß es.
Göksungur: Widerstand unbeirrt fortsetzen
Die Ko-Vorsitzende des kurdischen Europadachverbands KCKD-E, Fatoş Göksungur, legte den Fokus auf die Auswirkungen der Isolation Öcalans auf die Gesellschaften in Kurdistan und darüber hinaus. Der Umgang mit Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali wird immer wieder auch in Relation zu den aktuellen politischen Geschehnissen in der Türkei und der gesamten Region gesetzt. Auch Göksungur sprach davon, dass das Festhalten der türkischen Regierung am Isolationsregime, die damit einhergehende ungelöste kurdische Frage und eine auf Krieg und Konflikte ausgelegte Eskalationspolitik die Türkei und ihre Nachbarn in eine völlig chaotische Lage versetzt hätten. „Vor dem Hintergrund der derzeitigen Eskalation in der Region sind wir davon überzeugt, dass der Einsatz für die Freiheit von Abdullah Öcalan jetzt von größerer Bedeutung denn je ist. Als kurdische Gesellschaft werden wir unser Engagement für einen physisch befreiten Vordenker unserer Sache unter Bedingungen, in denen er frei leben und so zur Lösung der kurdischen Frage beitragen kann, unbeirrt fortsetzen.“
73-jähriger Teilnehmer des langen Marschs gewürdigt
Nach weiteren Redebeiträgen überreichten Fatoş Göksungur und Yüksel Koç als männliches Mitglied der genderparitätischen Doppelspitze des KCDK-E dem 73-jährigen Xalê Selman eine Auszeichnung. Damit würdigten sie seine Teilnahme am internationalistischen Marsch – trotz Herzschrittmacher. Anschließend wurde das Kulturprogramm eröffnet. Für Musik sorgten Kawa Urmiyê, Bergin Demir, Azad und Hozan Sidar. Der Lyriker Cüneyt Özdemir trug Gedichte vor.
23 Jahre Isolation auf Imrali
Abdullah Öcalan wurde vor 23 Jahren in einem völkerrechtswidrigen Piratenakt aus Kenia in die Türkei verschleppt. Unterstützung erhielt der türkische Geheimdienst MIT dabei unter anderem vom USA-Geheimdienst CIA und dem israelischen MOSSAD. Seitdem verbüßt er auf der Gefängnisinsel Imrali eine lebenslange Haftstrafe – die meiste Zeit unter Totalisolation. Seitdem versammeln sich jedes Jahr zum Jahrestag seiner Entführung am 15. Februar 1999 Kurdinnen und Kurden in Straßburg, um zu demonstrieren.
Im langjährigen Konflikt mit dem türkischen Staat hat Öcalan aus der Haft heraus zahlreiche einseitige Waffenstillstände initiiert und konstruktive Lösungsvorschläge unterbreitet. Die einzige Zeitperiode, in der er von seiner Gefängniszelle aus einen Friedensprozess mit der Türkei leiten durfte, markierte auch den kurzen Zeitabschnitt, in der die Hoffnung auf eine Demokratisierung in der Region zu gedeihen schien. Im Sommer 2015 hat die türkische Regierung die Friedensverhandlungen einseitig abgebrochen und ist zu ihrer repressiven „Kurdenpolitik“ zurückgekehrt. Die Folge: ein totaler Krieg gegen die kurdische Gesellschaft.
Demonstration in Paris
Aus Anlass des Jahrestags der Verschleppung Abdullah Öcalans gab es auch in Paris und Nantes Demonstrationen für seine Freilassung. In Frankreichs Hauptstadt beteiligte sich unter anderem auch der Politiker Zübeyir Aydar, der zum Exekutivrat des Dachverbands der kurdischen Befreiungsbewegung KCK gehört. Aydar zeichnete einen kurzen Umriss der Historie des Kampfes von Öcalan für die Befreiung des kurdischen Volkes und ging auf die Phase des internationalen Komplotts ein. Zum Ende seines Beitrags rief der Politiker zur Ausweitung des Widerstands gegen die Isolation des PKK-Begründers auf.
Die Pariser Demonstration zog vom Republiksplatz bis zur Place de la Bastille
Freunde von Olivier Le Clainche in Nantes
An einer Demonstration in Nantes beteiligten sich auch Freundinnen und Freunde des bretonischen Internationalisten Olivier Le Clainche (Kendal Breizh), der im Februar 2018 im Alter von vierzig Jahren bei einem türkischen Luftangriff im Widerstand von Efrîn gefallen ist. Im Namen der Gruppe wurde eine Erklärung verlesen, in der das Öcalan-Komplott verurteilt und seine Freilassung eingefordert wurde. Die PKK bezeichneten die Aktivist:innen als „Hoffnung der Völker des Nahen und Mittleren Ostens“ und kritisierten, dass die kurdische Arbeiterpartei auf europäischen und internationalen „Terrorlisten“ geführt wird. „Jene Kräfte, die sich um eine fortdauernde Listung der PKK als vermeintliche Terrororganisation bemühen, sind solche, die sich von Terror und Chaos ernähren. Wir müssen ihre Namen nicht nennen, sie sind der Öffentlichkeit bekannt.“ Dem kurdischen Volk sagte die Gruppe ihre volle Solidarität und Unterstützung beim Befreiungskampf zu.
Gutes Wetter in Nantes
Über Olivier Le Clainche
Olivier Le Clainche stammte aus Malestroit (Morbihan) in der Bretagne und war im Sommer 2017 nach Rojava aufgebrochen, um sich dem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Den kurdischen Befreiungskampf hatte er zur Zeit des Kampfes um Kobanê näher kennengelernt. Zuvor engagierte er sich in der ZAD (Zone de Défendre / Verteidigungszone) in Nantes gegen den Bau eines Flughafens. Dabei stellte er die Ähnlichkeit zwischen seiner eigenen Auffassung von Freiheit und den grundlegenden Elementen des kurdischen Befreiungskampfes fest. Außerdem war er in der anarchistischen Alternative Libertaire und der Gewerkschaft CNT aktiv. Zwischen 2011 und 2013 machte er beim Radiosender Bro Gwened muttersprachliche Programme.