Anlässlich des Welt-Kobanê-Tages haben Aktivist*innen des Internationalistischen Zentrums (IZ), der Basisgewerkschaft FAU und andere Internationalist*innen in Dresden symbolisch vier Straßen umbenannt. Sie wollen damit auf den Kampf für Frauenrechte, Basisdemokratie, Bedarfswirtschaft und Ökologie in Nord- und Ostsyrien und deren Bedrohung durch die türkische Diktatur aufmerksam machen. Die Aktion ist eingebettet in eine weltweite Aktionswoche vom 1. bis zum 8. November 2020.
Mit den Straßenschild-Veränderungen wurden in der Nacht zum Sonntag der Fetscher-Platz in Bager-Nûjiyan-Straße, die Fetscher-Straße in Arîn-Mîrkan-Straße, das Carus-Ufer in Avesta-Xabûr-Ufer und der Ebertplatz in Hêlîn-Qereçox-Straße umbenannt. Alle Namensgeber*innen waren Teil der basisdemokratischen Revolution, die seit Ende 2013 in Nord- und Ostsyrien (auch bekannt als Rojava) stattfindet, und ließen dort ihr Leben.
„Die Diktatur Türkei und islamistische Milizen bekämpfen, ausgerüstet mit deutschen Waffen und gedeckt durch deutsche Diplomatie, in Nord- und Ostsyrien ein zu tiefst humanistisches, ökologisches und demokratisches Projekt, das auch für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft wegweisend sein könnte. Mit Unterstützung Deutschlands wurden seit 2013 tausende Revolutionär*innen gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Wir fordern ein sofortiges Ende jeder militärischen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Diktatur Türkei, eine Aufhebung des PKK-Verbotes und die vollständige diplomatische Anerkennung der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien“, so Marina Wagner, Pressesprecherin der FAU-Dresden.
Gleichsam solidarisierten sich die Beteiligten auch mit den Protesten der armenischen Gemeinschaften, die sich für ein Ende des maßgeblich von der Türkei unterstützten Angriffskrieges in Arzach (Berg-Karabach) aussprechen und deren Proteste unter anderem in Frankreich von militant-rechten Erdogan-Getreuen der „Grauen Wölfe“ wiederholt angegriffen wurden.
Ebertplatz wird zur Hêlîn-Qereçox-Straße
Der Ebertplatz hat bereits verschiedene Umbenennungen erlebt, so trug er 1962-1993 den Namen Willi-Ermer-Platz. Ermer, der auf der heutigen Oederaner Straße wohnte, war bis 1925 Mitglied der Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschland, schloss sich dann der KPD an und leitete in Löbtau den Rotfrontkämpferbund. Ab 1933 war er im Widerstand tätig, durchlitt Haft und die berüchtigte Strafdivision 999. Mutmaßlich wegen seiner späteren SED-Mitgliedschaft entschied sich der Dresdner Stadtrat für die Rückbenennung in Ebertplatz.
Friedrich Ebert hatte großen Anteil an der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914-1918, im Angesicht der sozialen Revolution und eines potentiellen Ende des kapitalistischen Elends bekundete Ebert dem Prinzen: „Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde.“ In der Folge ließ er rechte Freikorps, die später die Grundlage für SA und SS bilden sollten, die Räterevolutionen in München, Bremen und an der Ruhr niederschlagen, mit zehntausenden Toten. Ebert steht daher wie kein anderer für die Tradition der SPD kapitalistische Ausbeutung, Krieg und ein militantes Streben gegen basisdemokratische Weiterentwicklung der Gesellschaft zu erhalten. Die SPD bewilligt heute weiterhin Waffenexporte in die Diktatur Türkei und unterstützt in der Bundesregierung viele weitere autoritäre Regime.
Hêlîn Qereçox (Anna Campbell, 1991 – 15. März 2018) war eine britische Anarchistin, Feministin und Anti-Gefängnis-Aktivistin. Sie ging nach Nordostsyrien, um die dort entwickelten Utopien zu verteidigen und die dortigen Frauen zu unterstützen. Mit den Frauenverteidigungseinheiten der YPJ kämpfte sie gegen den Daesh (IS). 2018 starb sie während der völkerrechtswidrigen und vom NATO-Partner Deutschland geduldeten Invasion der Türkei auf die Stadt Efrîn durch einen Raketenangriff. Die FAU fühlt sich ihr als ehemaliges Mitglied ihrer Schwesterngewerkschaft IWW besonders verbunden.
Carus-Ufer wird zu Avesta-Xabûr-Ufer
Carl Gustav Carus ist in Dresden vor allem als Mediziner und Maler bekannt. Wenig Erwähnung findet dabei aber sein rassepsychologisches und rassistisches Denken, das grundlegend für die Ideologie des deutschen Imperialismus und Kolonialismus war.
Avesta Xabûr (Zulûkh Hemo) schloss sich 2014 der Frauenverteidungseinheiten YPJ an, um die Errungenschaften der Frauenrevolution gegen den Daesh zu verteidigen. Am 8. Tag der Invasion der türkischen Besatzungsarmee in Erîn griffen türkische und dschihadistische Truppen das Dorf Hemam im Bezirk Cindirês an. Bei der Verteidigung des Dorfs griff sie einen türkischen Panzer an, indem sie sich selbst mit einer Handgranate sprengte. Dies war notwendig, um die Zivilbevölkerung, die sich ganz in der Nähe aufhielt, zu retten.
Sie gilt seitdem als Symbol für emanzipierte Frauen, die sich für ihre Überzeugungen und zum Erhalt der Errungenschaften der feministischen Revolution für den Kampf gegen den türkischen Angriffskrieg opfern.
Fetscherplatz wird zu Bager-Nûjiyan-Platz
Rainer Fetscher ist zwar in Dresden als Antifaschist und Humanist bekannt, war aber maßgeblich im Nationalsozialismus für seine Zwangssterilisationen bekannt. Er schuf eine „Erbbiologische Kartei" von „biologisch minderwertigen" Personen, die für die Nazis „wohl von entscheidender Bedeutung für die systematische Realisierung ihres barbarischen Feldzuges gegen alle Formen, [angeblicher] ererbter Minderwertigkeit" war, wie der Dresdner Arzt Steffen Sachse schrieb.
Bager Nûjiyan war ein ostdeutscher Antifaschist, internationalistischer Revolutionär und Guerillakämpfer. 2015 schloss er sich den revolutionären Verteidigungskräfte YPG in Nordostsyrien an, um gegen die Barbarei und die Gräueltaten des Daesh und der Türkei vorzugehen. Am 14. Dezember 2018 kam er bei einem türkischen Luftangriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan ums Leben.
Fetscherstrasse wird Arîn-Mîrkan-Straße
Arîn Mîrkan (Deilar Genj Khamis) war eine Kommandeurin der Frauenverteidigungseinheiten YPJ. Sie starb im Kampf gegen den Daesh während des Kampfes um Kobanê am Berg Miştenûr am 5. Oktober 2014. Um den Daesh an dem strategisch wichtigen Hügel aufzuhalten, kroch sie mit einer Panzermine unter einen Panzer des Daesh und sprengte ihn in die Luft. Die Verteidiger*innen der Stadt konnten kurze Zeit später den Berg Miştenûr zurückerobern. Arîn Mîrkans Opfer wird als Wendepunkt im Kampf um Kobanê angesehen.