Im Januar haben Soligruppen der Gefangenengewerkschaft GG/BO angekündigt, dass sich im Februar mehrere Gefangene und Nicht-Gefangene mit den hungerstreikenden Gefangenen in Nordkurdistan und der Türkei solidarisch zeigen wollen und unter anderem in einen Solidaritätshungerstreik treten werden. Wir fragten nun, wie die Solidaritätsaktionen der Gefangenengewerkschaft GG/BO gelaufen sind und wie viele sich dem Aufruf angeschlossen haben.
Zuerst noch eine allgemeine Frage zum Hintergrund eurer Arbeit. Wann wurde die Gewerkschaft gegründet und welche Arbeit umfasst die Gewerkschaftsarbeit? Habt ihr nur politische Gefangene als Mitglieder? Wie hoch ist eure Mitgliederzahl?
Die Gefangenen-Gewerkschaft wurde im Mai 2014 in der JVA Tegel gegründet. Die Hauptmotivation war und ist es, Spaltungslinien im Knast zu überwinden. Durch einen Minimalkonsens soll der unglaublich hohen Fraktionierung etwas entgegengesetzt werden. Schnell war den Gefangenen in Tegel damals klar, was alle Gefangenen miteinander verbindet und wütend macht: arbeiten für einen Hungerlohn (ein bis zwei Euro die Stunde) und dabei nicht einmal sozialversichert sein. Egal, wie groß die Unterschiede unter den Gefangenen sind: ihnen ist bewusst, dass an ihnen ein Sozial- und Lohndumping durchgespielt wird, dass sie massiv ausgebeutet werden und dass diesen Zustand draußen keinen interessiert. Deswegen waren die Kernforderungen der GG/BO schnell klar: Mindestlohn und Einbezug in die Rentenversicherung.
Mit diesen Hauptforderungen und einem Selbstverständnis, welches jeglichem diskriminierenden Verhalten klar widerspricht und darauf abzielt, gemeinsam zu kämpfen und sich nicht durch Bedienstete oder andere Gesetzeshüter*innen spalten zu lassen, wuchs die GG/BO sehr schnell. Innerhalb weniger Monate wurde aus dem Projekt, welches ursprünglich nur für die JVA Tegel angedacht war, eine bundesweite Organisation. Gefangene aller Bundesländer und aus verschiedensten Knästen (offener und geschlossener Vollzug, Jugendanstalten, Maßregelvollzug) gründeten Gewerkschaften hinter Gittern. Heute umfasst die GG/BO etwa tausend Mitglieder in der BRD. Dass ist deswegen so erstaunlich, weil die meisten Gefangenen, welche sich innerhalb der GG/BO organisieren, vor ihrer Haftzeit meistens noch nie politisch aktiv waren.
Unterstützt werden die Gefangenen von Soligruppen außerhalb der Knäste, derzeitig gibt es davon fünf: in Köln, Leipzig, Jena, Nürnberg und Berlin. Diese Gruppen arbeiten autonom, haben aber alle eine anti-staatliche und anti-autoritäre Haltung gemeinsam. Weil Knast Teil des Repressionsapparates und deswegen für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen und auf Herrschaft basierenden Verhältnisse mitverantwortlich ist, kann das Wegsperren und Verwahren von Menschen keine Perspektive für eine befreite Gesellschaft sein. Wir machen auch keinen Unterschied zwischen sozial und politisch Gefangenen. Jede*r Gefangene ist für uns politisch gefangenen – weil keine Tat losgelöst ist von politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen.
Wie sind die Solidaritätsaktionen in deutschen Gefängnissen mit dem Hungerstreik in der Türkei und Kurdistan eurer Ansicht nach verlaufen? In welchen Gefängnissen gab es Aktionen, und wie viele Personen beteiligten sich jeweils?
Als Soligruppe konnten wir nicht einschätzen, wie viele Gefangene sich solidarisch zeigen werden und wollen. Auch war uns nicht klar, welche von unseren vorgeschlagenen Aktionsformen die Gefangenen umsetzen wollen. Zum einen, weil wir nicht einschätzen konnten, ob Gefangene eine Solidarität mit Gefangenen in der Türkei für wichtig erachten, zum anderen, weil uns auch bekannt ist, dass Gefangene in der BRD Repressalien fürchten müssen, wenn sie sich solidarisch mit anderen Gefangenen zeigen.
Wir waren deswegen positiv überrascht über die Reaktionen der Gefangenen in der BRD. An folgenden Aktionen beteiligten sich Gefangene und Nicht-Gefangene:
Protestschreiben: Viele Gefangene und Nicht-Gefangene fordern, dass das CPT Öcalan auf Imrali besucht. Dafür wurden Protestschreiben an den Europarat nach Straßburg versandt. Weil leider viele Gefangene Repressalien fürchten, können an dieser Stelle nicht alle benannt werden, welche sich an der Aktionsform beteiligten. Vor allem aber etliche Gefangene aus der JVA Chemnitz, Neumünster und Rosdorf haben zurückgemeldet, dass Protestschreiben an den Europarat geschickt wurden. Genannt werden wollen Peter Reitenbach (Gefangener JVA Neumünster) und Sven Herhold (JVA Rosdorf).
Solidarische Grüße an kurdische Gefangene in der Türkei und Deutschland und Beteiligung am solidarischen Hungerstreik: Die GG/BO-Soligruppe Jena organisierte anlässlich des Hungerstreiks eine Briefschreibwerkstatt für die Gefangenen des türkischen Regimes in Deutschland. Etwa zehn Menschen kamen zusammen und schickten Briefe an einige derer, die wegen angeblicher Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK, DHKP-C und TKP/ML in deutschen Gefängnissen sitzen.
Sandra, eine Gefangenen-Gewerkschafterin aus der JVA Chemnitz, hat ein Solidaritätsschreiben verfasst und angekündigt, dass sie sich am solidarischen Hungerstreik beteiligt:
Liebe kurdische Gefangene, liebe Gefangene aller Art!
Denn egal welcher Kultur oder Landessprache wir angehören, wir haben alle eins gemeinsam: „WIR SIND MENSCHEN, WERDEN ABER NICHT SO BEHANDELT!“ Von den tollen Rechtsstaaten, in denen wir eingesperrt sind, werden Menschenrechte mit Füßen getreten.
Als ich das Schreiben der GG/BO-Soligruppe Berlin erhalten habe, war ich mehr als nur sauer, traurig, alles an Gefühlen kam zusammen.
Ich selbst bin auch Gefangene und möchte Euch Mut zusprechen. Niemals aufzugeben!!! Kämpft und seid stark und ich weiß, das fällt arg oft nicht leicht. Aber wenn wir aufgeben, gewinnen die! Und das wollen wir nicht! Und dürfen wir nicht zulassen! Ich beteiligte mich am Hungerstreik als Zeichen der Solidarität.
Ich, Sandra W., fordere hiermit die türkischen Behörden auf, die totale Isolation gegen Öcalan sofort aufzuheben! Und die Haftbedingungen in Deutschland, Türkei, USA, in allen Ländern zu überdenken, zu lockern. Wir sind Menschen und haben Rechte, egal ob vor oder hinter den Mauern!
Freiheit für alle! Wegsperren, Schikanieren, Mangelnde bis keine Unterstützung ist keine Lösung!
JVA Chemnitz, 26.01.2019
Etwa 40 Gefangene aus der JVA Tegel haben sich zusammengeschlossen und eine solidarische Botschaft an die kurdischen Gefangenen in der Türkei, insbesondere Abdullah Öcalan, verfasst. Auch hier befürchten viele Gefangene Repressalien, weswegen an dieser Stelle nicht alle benannt werden können, welche sich an der Aktionsform beteiligten. So droht Gefangenen, welche hungerstreiken, in der JVA Tegel sofort Isolationshaft für mehrere Tage. Fünf Gefangene sind allerdings bereit, mit ihrem Namen an die Öffentlichkeit zu gehen:
Aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel senden wir solidarische Grüße an alle kurdischen Inhaftierten, insbesondere aber Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali. Selbst wir hier in der JVA Tegel, d.h. im sogenannten Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland können ein Stück weit die Repressalien an Inhaftierten in der Türkei nachempfinden. Auch hier leiden wir unter eben der Versagung des Rechtsstaates (...). Sicherlich haben wir hier in der JVA Tegel im Gegensatz zu z.B. Imrali „schöner Wohnen“, nur sind eben auch hier auf menschenrechtsverletzende Art und Weise Verfassung, Gesetz und Grundrechte außer Kraft gesetzt. (…) Insofern schließen wir uns allen anderen Inhaftierten weltweit an, die für einen menschenrechtskonformen Strafvollzug auch aller kurdischer Gefangener, insbesondere von Abdullah Öcalan eintreten.
Niko Jakob, Hauke Burmeister, Hans Weiß, Mahedi Shareef, Thorsten Gahlbeck
Auch wenn die Verhältnisse in deutschen Knästen derzeitig noch nicht so repressiv sind wie in türkischen Knästen, kennen auch Gefangene in Deutschland die Mittel der Repression – deswegen waren und sind sie bereit, sich mit Gefangenen weltweit zu solidarisieren. Ihnen ist bewusst, dass Knast immer die Funktion hat, Menschen zu unterdrücken, zu unterwerfen, den Kontakt nach außen zu verhindern und sie zum Schweigen zu bringen. All das, um den Gefangenen weltweit zu vermittelt, dass sie kein Teil dieser Gesellschaft, sondern die Ausgestoßenen sind und erst wieder Teil der Gesellschaft werden dürfen, wenn sie sich absolut angepasst verhalten. So wird auch für Öcalan so lange keine Freiheit in Sicht sein, wie er Gegner des derzeitigen Regimes in der Türkei ist und für eine bessere Welt kämpft.
Was ist euer Standpunkt zur Totalisolation Abdullah Öcalans auf der Gefängnisinsel Imrali?
Ganz klar: Wir und alle Gefangenen, welche sich an solidarischen Aktionen beteiligt haben, fordern die sofortige Aufhebung der Totalisolation bzw. die sofortige Freilassung von Öcalan.