Die bereinigte Schutzquote bei kurdischen Flüchtlingen aus der Türkei ist fünfmal geringer als bei türkischstämmigen. Das räumt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, ein. Während erstere nur zu etwa 15 Prozent anerkannt werden, erhalten letztere in über 75 Prozent der Fälle einen Schutzstatus. Zwischen 2019 und 2020 ist die bereinigte Schutzquote sogar noch gefallen. Lag sie 2019 bei kurdischstämmigen Schutzsuchenden aus der Türkei bei 17,7 Prozent und bei türkischen Geflüchteten bei 76,1 Prozent, stagnierte die Quote bei kurdischen Asylsuchenden 2020 auf 15,2 Prozent. Diese Zahlen widersprechen eklatant der Verfolgungsrealität in der Türkei, wo kurdische Oppositionelle zu Tausenden festgenommen und inhaftiert werden.
Jelpke: BAMF muss Entscheidungspraxis Realität anpassen
„Die Verfolgung insbesondere von kurdischen Mitgliedern der HDP war in den letzten Jahren enorm. Und es ist keine Besserung in Sicht: Gerade in dieser Woche wurden in der Türkei wieder Hunderte Oppositionelle festgenommen, darunter zahlreiche Mitglieder der HDP“, kommentiert Ulla Jelpke diese Tatsache. Vor diesem Hintergrund verwundere die geringe Schutzquote bei kurdischen Geflüchteten doch sehr. „Politisch verfolgte Kurden aus der Türkei brauchen Schutz! Das BAMF muss seine Entscheidungspraxis dringend überprüfen und der Realität anpassen“, fordert Jelpke.
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Schutzquote kurdische Asylsuchende |
Schutzquote türkische Asylsuchende |
2019 |
17,7 % |
76,1 % |
2020 |
15,2 % |
76,1 % |
Gülenisten deutschen Behörden sympathischer als kurdische Oppositionelle?
Die Diskrepanz ist offensichtlich so eklatant, dass von einem Zufall keine Rede sein kann. Sicher spielt die antikurdische Politik deutscher Behörden, die systematische Kriminalisierung der kurdischen Bewegung und die Zusammenarbeit mit türkischen Geheimdiensten eine entscheidende Rolle. Viele der türkischen Schutzsuchenden stammen aus der sogenannten Gülen-Bewegung – einer islamistischen Sekte um den Prediger Fethullah Gülen, die Recep Tayyip Erdoğan seinerzeit an die Macht verhalf und nach einem Zerwürfnis mit dem Regimechef und einem gescheiterten Putschversuch in der Türkei als Terrororganisation verfolgt wird. Bei diesen Verfolgten handelt es sich eben nicht um demokratische Oppositionelle oder kurdische Aktivist*innen, sondern um ehemalige Staatsanwälte, Richter, Polizisten und andere Personen, die früher im Staatsapparat dienten. Immer wieder gibt es deutliche Hinweise zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung oder Landesregierungen mit der Gülen-Sekte, wie beispielsweise bei der Einrichtung des sogenannten „House of One“ in Berlin. Mit der Verbindung zur Gülen-Sekte halten sich die USA, die Gülen beherbergen, ebenso wie die Bundesregierung alle möglichen Optionen für die Zukunft einer Türkei jenseits von Erdoğan offen.
Schutzsuchende trotz Beschlagnahme von Asylakten durch türkische Polizei abgelehnt
Die Anfrage von der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpe geht aber auch einem anderen Skandal nach. Die Festnahme des deutschen Vertrauensanwalts Yilmaz S. im September 2019 und die Beschlagnahme unzähliger Asylakten durch die türkische Polizei stellen eine akute Bedrohung für die betroffenen Asylsuchenden dar. Yılmaz S., der im Auftrag der deutschen Botschaft in Ankara tätig und mit Fällen türkischer Staatsangehöriger befasst war, die in Deutschland Asyl suchten, verfügte also über extrem sensible Daten zu den entsprechenden Anträgen. Der Anfrage lässt sich entnehmen, dass insgesamt wohl 1430 Geflüchtete durch die Beschlagnahmung von 900 Asylakten in Gefahr gebracht wurden. Die Bundesregierung hat das Ausmaß des Skandals nur scheibchenweise zugegeben und in einer Sondersitzung des Innenausschusses zu dem Vorgang am 27. November 2019 zunächst nur von 47 Akten und 83 Betroffenen gesprochen. Unter ihnen sind kurdische Politikerinnen und Politiker, aber auch Gülen-Anhänger. Doch statt ihnen wie angekündigt schnell Sicherheit zu verschaffen, liegt aktuell in nur 336 der Verfahren mit 575 (von 1430) Personen bislang überhaupt eine Entscheidung über die Schutzbedürftigkeit vor. Nur 489 von 575 Betroffenen haben einen Schutzstatus erhalten, es gab 55 inhaltliche Ablehnungen für 76 Personen. In zwei Verfahren (für acht Personen) entschied das BAMF, der gestellte Asylantrag sei unzulässig, zweimal wurden Asylverfahren für erledigt erklärt. Mehr als ein Jahr nach Bekanntwerden des Skandals steht in knapp 600 Verfahren mit etwa 900 Betroffenen die Entscheidung des BAMF offenbar immer noch aus. Obwohl diese Menschen aufgrund der Fahrlässigkeit deutscher Behörden in Gefahr gebracht worden sind, wird ihnen weiterhin kein Schutz gewährt.
Jelpke: Bundesregierung entzieht sich politischer Verantwortung
Auf die Frage, ob bereits Abschiebungen stattgefunden haben, verweigert die Bundesregierung die Antwort und verweist auf Länderzuständigkeit. Ulla Jelpke kritisiert dieses Vorgehen scharf: „Ich finde es skandalös, dass die Bundesregierung sich offenkundig nicht darum kümmert, was mit den abgelehnten Asylsuchenden passiert ist, die infolge gravierender Versäumnisse von Bundesbehörden mit Gefährdungen rechnen müssen. Die Bundesregierung entzieht sich ihrer politischen Verantwortung, wenn sie lapidar auf die formelle Zuständigkeit der Ausländerbehörden verweist – denn diese vollziehen doch nur, was das BAMF in diesen Fällen entschieden hat. Diese Vorgänge müssen schnell aufgeklärt werden. Sollten Menschen, die infolge der Festnahme des Vertrauensanwalts in der Türkei mit Gefährdungen rechnen müssen, bereits abgeschoben worden sein, müssen sie umgehend nach Deutschland zurückgeholt werden.“
„Die betroffenen Schutzsuchenden brauchen endlich Sicherheit“
Jelpke fordert, dass nun endlich reiner Tisch gemacht wird. „Es war absolut fahrlässig und ein Verstoß gegen interne Vorgaben, dass der Vertrauensanwalt über vertrauliche Informationen zu fast 1.000 Asylverfahren verfügte. Die Konsequenz aus dieser Fahrlässigkeit muss sein, allen Betroffenen einen Schutzstatus zu erteilen. Wie kann es eigentlich sein, dass nach so langer Zeit zu weit mehr als die Hälfte aller Betroffenen immer noch keine Entscheidung vorliegt?“
Die Gefährdung von Schutzsuchenden infolge der Festnahme des Vertrauensanwalts in der Türkei sei ein „Super-GAU“ für die deutschen Behörden, findet Jelpke. Offenbar sei die Bundesregierung vor allem bemüht, den Vorgang unter den Teppich zu kehren. „Schon die ursprünglich deutlich untertriebenen und falschen Angaben zu möglicherweise Gefährdeten waren inakzeptabel. Jetzt müssen alle Fakten auf den Tisch, und die betroffenen Schutzsuchenden brauchen endlich Sicherheit.“