Rückholung inhaftierter IS-Dschihadisten wird verzögert

Um eine Anerkennung der Nord- und Ostsyrienföderation zu vermeiden, verzögert die Bundesregierung die Rückholung dort inhaftierter IS-Dschihadisten und bringt so die Stabilität der Region in Gefahr.

Im Moment befinden sich mindestens 500 männliche IS-Dschihadisten, 900 IS-Anhängerinnen und Dschihadistinnen sowie 1.200 Kinder und Jugendliche aus 44 Ländern im Gewahrsam der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). Das erklärte der Außenbeauftrage der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien, Abdulkarim Omar, in einem dringenden Appell an die Staaten, ihren oft hochgefährlichen Dschihadisten, von denen viele an schwersten Kriegsverbrechen beteiligt waren, selbst den Prozess zu machen. Die Selbstverwaltung der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyriens sei mit der Kontrolle und Unterbringung dieser Personen und ihrer Angehörigen überfordert, so Omar, der im ANF-Interview im Oktober davor gewarnt hat, dass die Instabilität in der Region jederzeit zu einem Ausbruch und dabei zu neuem Blutvergießen und einer Gefährdung auch für Europa führen könne.

Die männlichen Dschihadisten sind in Gefängnissen untergebracht, unter ihnen auch deutsche Dschihadisten wie Mohammed Haydar Zammar, der enge Verbindungen zu den Attentätern vom 11. September 2001 in Hamburg hatte und sich dem IS anschloss. Im Moment sind mindestens zehn deutsche IS-Dschihadisten in Nord- und Ostsyrien inhaftiert, dazu kommen zehn Frauen und 15 Kinder, die unter besonderer Sicherung in Flüchtlingscamps in Ayn Isa und Dêrik untergebracht sind. Insbesondere aufgrund des politischen und ökonomischen Embargos gegenüber der Demokratischen Föderation sind die Bedingungen dort schwierig. In der Region leben Hunderttausende Schutzsuchende aus den verschiedensten Regionen Syriens und die Selbstverwaltung hat Schwierigkeiten, diese zu versorgen. Bei den IS-Dschihadisten und ihren Familien kommt noch hinzu, dass sie als potentielle Sicherheitsrisiken einen besonderen Aufwand erfordern. So hält die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion insbesondere die Gefahr einer Flucht von IS-Dschihadistinnen für größer, da diese wie andere Schutzsuchende in Flüchtlingslagern untergebracht sind.

Jelpke: „Deutsche IS-Anhänger müssen in Deutschland vor Gericht gestellt werden“

Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, setzt sich schon lange für die Rückholung der Dschihadisten ein und fordert: „Die in Nordsyrien inhaftierten deutschen IS-Anhänger müssen vor ein Gericht gestellt und für ihre Verbrechen bestraft werden. Da die demokratischen Selbstverwaltungsbehörden der Region Nordsyrien dies erklärtermaßen weder leisten können noch wollen, muss dies in Deutschland geschehen. Es ist zudem auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den Opfern des IS-Terrors, dass diese deutschen IS-Anhänger sich schnell vor deutschen Strafgerichten verantworten müssen.“

Bundesregierung zeigt wenig offizielles Interesse bezüglich einer Rückholung

Während die Bundesregierung ein ums andere Mal öffentlichkeitswirksam die Rücknahme von in Deutschland und Europa radikalisierten „islamistischen Gefährdern“ aus den Maghrebstaaten zu erzwingen sucht, scheint sie wenig Interesse daran zu haben, deutsche dschihadistische Kriegsverbrecher und ihre Familien zurückzunehmen. Das Ergebnis einer Kleinen Anfrage Jelpkes zu dem Thema ist ernüchternd. Den größten Teil der Antwort hat die Bundesregierung als Verschlusssache eingestuft, da sonst „die Interessen der Bundesrepublik“ gefährdet würden. So ist die Bundesregierung nicht einmal bereit, die Anzahl der in Nordsyrien festgehaltenen deutschen IS-Dschihadisten zu benennen. Es heißt nur lakonisch: „Die Bundesregierung prüft alle Optionen hinsichtlich einer möglichen Rückkehr deutscher Staatsangehöriger nach Deutschland sorgfältig.“

Gegen mindestens 14 in Syrien festgehaltene Dschihadisten führt die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren nach den Paragraphen 129a/b. Dabei handelt es sich um 13 Männer und eine Frau. Ob es hier um eine Rückholung über Geheimdienstkanäle geht oder das Rote Kreuz oder ähnliche Institutionen bleibt offen. Das Interesse einer Rückholung scheint jedoch nicht besonders hoch zu sein. So ist von Angehörigen bekannt, dass Kinder von IS-Dschihadisten mit deutschem Pass einen DNA-Test ablegen müssen, damit überhaupt eine Reise nach Deutschland möglich wird. Allerdings räumt die Bundesregierung ein, dass es in Syrien keine Botschaft gibt und deshalb solche Tests gar nicht möglich sind. Ulla Jelpke kommentiert dies: „Die Bundesregierung darf die Heimholung von deutschen IS-Anhängern und ihren Familien aus der Gefangenschaft in Nordsyrien nicht länger unter fadenscheinigen Ausreden hinauszögern. Die demokratischen Selbstverwaltungsbehörden der Region Nordsyrien sind nicht nur bereit, die sich in ihrer Gewalt befindenden Deutschen auszuliefern, sie fordern sogar energisch, dass ihnen diese Last endlich abgenommen wird.“ Andere Staaten wie die USA, Indonesien, Russland, der Sudan und der Libanon sind zumindest teilweise dieser Verantwortung nachgekommen.

Der Bundesregierung geht es um die Isolierung von Nord- und Ostsyrien

Das Hauptziel ist offenbar, den Anschein einer Zusammenarbeit oder gar Anerkennung jeglicher Strukturen Nord- und Ostsyriens um jeden Preis zu vermeiden. So betont die Bundesregierung in ihren Antworten immer wieder: „Die Bundesregierung erkennt die sogenannte Demokratische Föderation Nordsyrien völkerrechtlich nicht an.“ Zu einer möglichen Verurteilung der IS-Dschihadisten vor nordsyrischen Gerichten heißt es nur: „Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es in Nordsyrien derzeit keine syrische staatliche Gerichtsbarkeit.“ Selbst gefragt zu den Kräften, mit denen die Anti-IS-Koalition in Syrien zusammenarbeitet, werden die QSD nicht erwähnt, sondern als „lokale Kräfte“ paraphrasiert.

Ulla Jelpke kommentiert dieses Vorgehen in Anspielung auf die Entwicklungshilfe der Bundesregierung für die von Dschihadisten beherrschte Region Idlib: „Während die Bundesregierung offenbar kein Problem damit hat, mit Al-Qaida-nahen Kräften in Idlib zu kooperieren, vermeidet sie - vermutlich aus Rücksicht auf die Türkei - jeden direkten Kontakt zu den demokratischen Selbstverwaltungsbehörden in der Region Nordsyrien. Eine Rückholung der in Nordsyrien inhaftierten deutschen IS-Kämpfer und ihrer Familien wird dadurch ebenso verhindert wie rechtsstaatliche Strafverfahren gegen diese Terroristen vor deutschen Gerichten.“