Das Rennen um die Präsidentschaft in der Türkei verläuft erwartungsgemäß äußerst knapp. Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan lag nach Mitternacht laut der Wahlbehörde YSK nach Öffnung von knapp 92 Prozent der Wahlurnen bei 49,49 Prozent und damit unter der absoluten Mehrheit. Sein Herausforderer, Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu, kam demnach auf 44,79 Prozent. Bleibt es dabei, hätte keiner der beiden Kandidaten die nötige absolute Mehrheit – Erdoğan und Kılıçdaroğlu müssten am 28. Mai in einen zweiten Wahlgang. Das heißt aber nicht, dass schon alle Stimmen ausgezählt sind. Laut der Opposition waren am späten Sonntagabend mindestens 7,5 Millionen Stimmen noch nicht in die Zählungen eingegangen. Damit bleibt auch weiter unklar, wie der derzeitige Wert sich durch die Wahlurnen noch verändern könnte.
HDP: Kein Einblick in Wahlprotokolle
Die HDP monierte noch weit nach Mitternacht, dass erst weniger als zwanzig Prozent aller durch Wahlleiter und Beauftragte an die YSK übermittelten Wahlprotokolle für die Parteien einsehbar seien. Mehmet Rüştü Tiryaki, Sprecher des Koordinationszentrums für Wahlbeobachtung der HDP, teilte auf einer Pressekonferenz in Ankara mit, dass eine erste Aufforderung an die YSK zur Einsichtnahme der Wahlergebnisse bereits am frühen Sonntagnachmittag um 14 Uhr Ortszeit gerichtet wurde, die Behörde es jedoch weiterhin unterlasse, Zugang zu den Zahlen zu ermöglichen. „Erst wenn die Dateneingabe vollständig abgeschlossen ist und wir die Summe aller tatsächlich abgegeben Stimmen kennen, werden wir die Ergebnisse der Öffentlichkeit mitteilen“, sagte Tiryaki.
Siegesgewisse Präsidentschaftskandidaten
Die beiden Präsidentschaftskandidaten Erdoğan und Kılıçdaroğlu gaben sich derweil siegesgewiss. „Wir wissen noch nicht, ob die Wahl in der ersten Runde zu Ende sein wird, aber wenn die Menschen uns in eine zweite Runde schicken, werden wir das auch respektieren“, sagte Erdoğan in der Nacht zu Montag vor jubelnden Anhängern auf dem Balkon des AKP-Hauptquartiers in Ankara nach Bekanntwerden vorläufiger Ergebnisse bei der Präsidentschaftswahl. „Den Willen des Volkes muss jeder respektieren“, sagte er weiter. Im Parlament zeichne sich eine Mehrheit seiner Regierungsallianz ab. Er sei sich daher sicher, dass die Wähler in einer Stichwahl „Sicherheit und Stabilität“ bevorzugen werden.
Kılıçdaroğlu trat gemeinsam mit den Parteichefs seines Sechser-Wahlbündnisses vor die Presse. „Erdoğan hat trotz seiner Diffamierungen und Beleidigungen nicht das Ergebnis erreicht, das er sich erwartet hatte“, sagte er. Die Opposition werde gewinnen und dem Land Demokratie bringen. Sollten die Ergebnisse des ersten Wahlganges eine Stichwahl nötig machen, „werden wir die zweite Runde unbedingt gewinnen“, so Kılıçdaroğlu. „Der Wille in der Gesellschaft zur Veränderung ist höher als 50 Prozent“, fügte er hinzu.
YSP kommt derzeit auf knapp 9 Prozent der Stimmen
Die Grüne Linkspartei (YSP), unter deren Banner die HDP zur Wahl angetreten ist, kommt ersten Hochrechnungen zufolge derzeit auf 8,78 Prozent der Stimmen und 62 Sitze im türkischen Parlament. Damit ist sie aktuell wie zuvor bereits die HDP drittstärkste Kraft in der Nationalversammlung. Die türkische Arbeiterpartei TIP, die zwar wie die YSP zum Bündnis für Arbeit und Freiheit gehört, zur Wahl aber als Einzelpartei angetreten ist, verbucht nach derzeitigem Stand 1,71 Prozent der Stimmen und erreicht vier Sitze im Parlament.