Am vergangenen Wochenende fand in Berlin eine zweitägige Veranstaltung mit dem Titel „28 Jahre PKK-Betätigungsverbot. Jetzt reden wir!“ statt. Was die Betroffenen der Verbotspraxis dort vorgetragen haben, war selbst für Menschen, die sich seit langen Jahren mit der kurdischen Sache beschäftigen, sehr erschreckend. Wer sich in Deutschland für die kurdische Frage einsetzt, muss mit extremen Formen von Repressionen durch die Behörden rechnen. Die Einschränkung von elementaren Grundrechten, aber auch Nachteile hinsichtlich des Ausländerrechts können die Folge sein. Die Referent:innen sprachen zudem von enormem psychischen Druck durch die Sicherheitsbehörden, der sich auf die gesamte Familie und insbesondere auf die Kinder der Betroffenen auswirkt. Ein mögliches Fazit der Veranstaltung könnte lauten: Das PKK-Verbot ist nicht nur ein Anachronismus, wie Dr. Rolf Gössner in seinem Beitrag am Wochenende darlegte, sondern auch Ausdruck eines Demokratiedefizits in der Bundesrepublik Deutschland.
Gleichzeitig ist das „PKK-Verbot“ aber auch ein Instrument, das für die Interessen der deutschen Politik von großer Wichtigkeit ist. Denn die kurdische Freiheitsbewegung und ihre politischen Ideen werden sowohl innen- als auch außenpolitisch als potentielle Gefahr wahrgenommen. Auch wenn wir auf die Gründe dessen an dieser Stelle nicht gesondert eingehen wollen, so soll zumindest nicht unerwähnt bleiben, dass die traditionell engen deutsch-türkischen Beziehungen hierbei eine wichtige Rolle spielen. Und wie erpicht die Türkei darauf aus ist, dass gegen kurdische Aktivist:innen auch außerhalb der türkischen Staatsgrenzen vorgegangen wird, sehen wir in der aktuellen Debatte um die NATO-Beitritte Schwedens und Finnlands.
In Deutschland wird im Sinne der Türkei bereits „gute Arbeit“ geleistet, auch wenn das Vorgehen der hiesigen Sicherheitsbehörden gegen kurdische Aktivist:innen zum Teil rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze verletzt. Nun bedarf eine Kriminalisierungs- und Repressionspraxis, gerade wenn sie nur schwer mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Bundesrepublik vereinbar sind, einer politischen Legitimation. Denn nur so kann dieses Vorgehen der Sicherheitsbehörden, das sonst für Empörung sorgen könnte, der breiten öffentlichen Meinung „erklärt“ werden. Hierbei spielen die Medien eine wichtige Rolle. Und der Beitrag von Marion Sendker mit dem Titel „Die Türkei und der kurdische Terror“ , erschienen am 22. Juni im Deutschlandfunk, kann geradezu als Paradebeispiel für die Rolle der medialen Berichterstattung für die Legitimationsbeschaffung des PKK-Verbots dienen.
Nicht nur journalistisch ein unsauberer Bericht
Wie unsauber der ausführliche Bericht von Frau Sendker ist, soll an einem Beispiel durchexerziert werden: So bemüht sich die Autorin beispielsweise darum, den „Mythos einer kurdischen Einheit“ zu dekonstruieren. „Es gibt keinen einheitlichen Kurdenstaat“ und „Kurden kämpfen gegen Kurden“ heißt es in dem Artikel. Dass es keinen „Kurdenstaat“ (sie hätte auch weniger abwertend vom „kurdischen Staat“ sprechen können) ist kein Geheimnis. Ebenso wenig überraschend ist, dass die kurdische Gesellschaft, wie übrigens auch die deutsche oder türkische Gesellschaft, pluralistisch ist. Dass es heute kurdische Gruppen gibt, die im Dienste der herrschenden Staaten gegen die kurdischen Interessen kämpfen, ist zwar traurig, aber auch lange bekannt und kein genuin kurdisches Problem. Die PKK sieht sich nicht den „Unterschieden zum Trotz“ als „Führerin aller Kurden“, sondern tritt für ein Gesellschaftsmodell ein, in dem diese Gemeinschaften in ihrer sprachlichen und religiösen Vielfalt friedlich und demokratisch koexistieren können. Mit einer journalistischen Recherchereise in den Norden Syriens hätte sich Frau Sendker vom Funktionieren dieses Konzepts überzeugen können. Sie hat sich allerdings lieber dazu entschieden, einen „Turkologen“ zu befragen. Dass die Autorin keine besonderen Mühen auf eigene Recherchearbeit gelegt hat, zeigt schon ihre Behauptung, es gäbe „assyrisch-christliche Kurden“.
Die Mängelliste des Beitrags von Frau Sendker ist lang. Wir werden aber darauf verzichten, auf jeden Absatz wie im oben im Detail einzugehen, sondern wollen nachfolgend auf einige gravierende Defizite ihrer Berichterstattung eingehen:
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Zunächst einmal verzichtet die Autorin tatsächlich darauf, auch nur einen einzelnen kurdischen politischen Vertreter bzw. Vertreterin zu Wort kommen zu lassen. Es wird in eurozentrischer Manier über die Kurd:innen geschrieben, ohne die Kurd:innen selbst sprechen zu lassen.
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Die Autorin spricht von Terroraktionen der PKK in Europa und in den USA. Welche Terroraktionen gemeint sind, wäre interessant zu erfahren. Spoiler: Sie wird keine benennen können.
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Die Autorin spricht davon, dass nur noch gut 17 Prozent der Kurd:innen einen eigenen Staat wollen, und will mit diesem „Argument“ die Abkehr der kurdischen Bevölkerung von der PKK belegen. Was sie allerdings vergisst, die PKK will selbst auch keinen eigenen kurdischen Staat. Auch bei ihren Ausführungen zu den Folgen des bewaffneten Kampfes „vergisst“ sie zu erwähnen, dass die PKK seit 1993 immer wieder einseitige Waffenstillstände ausgerufen hat, um eine politische Lösung der kurdischen Frage zu forcieren. Dass diese Initiativen zu keinem Erfolg geführt haben, liegt in erster Linie daran, dass der türkische Staat stets mit Gewalt auf die Friedensbemühungen reagiert hat.
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Unerwähnt im Artikel von Frau Sendker bleiben die Massaker des türkischen Staates an der kurdischen Zivilbevölkerung. Erst jüngst ist ein zwölfjähriges Kind bei einem türkischen Luftangriff in Südkurdistan getötet worden. Kein Wort fällt über den türkischen Drohnenterror oder den Vorwürfen der PKK, dass die Türkei verbotene chemische Kampfstoffe einsetzt. All das dürfte der Autorin nicht bloß „zufällig“ entgangen sein – sie hat schlichtweg kein Interesse, über die türkischen Verbrechen ein Wort zu verlieren.
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Besonders perfide ist, wie die Autorin die Selbstverteidigungseinheiten von Rojava (YPG) zu delegitimieren versucht. Die Behauptung, es handele sich bei den YPG um Milizen der politischen Partei PYD ist ebenso schlichtweg falsch wie die Behauptung von vermeintlichen Beziehungen zwischen der YPG und der PKK. Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) hingegen sind ein breites militärisches Bündnis, das in ihrer Mehrzahl mittlerweile aus arabischen Kämpfer:innen besteht. Die YPG sind einer von mehreren militärischen Verbänden, die Teil der QSD sind. Der hier hergestellte PKK-Bezug ist nichts anderes als die haltlose Reproduktion türkischer Antipropaganda.
Die Liste ließe noch um einige Punkte fortführen. Wir möchten es allerdings hierbei belassen. Der Beitrag, der übrigens zeitweise als Hauptmeldung beim Deutschlandfunk erschien, ist nicht nur journalistisch unsauber, sondern auch politisch tendenziös. Es ist die Art von Berichterstattung, deren Argumente zwar keiner noch so kleinen Recherche standhalten können, deren Inhalt aber sowohl im Sinne der deutschen Repressionspolitik als auch der türkischen Kriegspolitik ist. Tendenziöse Berichte wie diese legitimieren im Übrigen nicht nur die deutsche Kriminalisierungspolitik gegen kurdische Aktivist:innen, sondern auch den türkischen Krieg gegen die Kurd:innen, der als „Kampf gegen den Terror“ tituliert wird. Und dieser Krieg der Türkei hat in den letzten Wochen und Monaten das Leben von dutzenden kurdischen Zivilist:innen in- und außerhalb der türkischen Staatsgrenzen gekostet. Leider hat Frau Sendker „vergessen“, diese zivilen Opfer in ihrem Artikel zu benennen…