Vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) in Frankfurt am Main wurde das laufende 129b-Verfahren gegen Ali Ö. fortgesetzt. Der 55-jährige Kurde befindet sich seit seiner Festnahme im Mai vergangenen Jahres unter verschärften Bedingungen in Untersuchungshaft in der JVA Frankfurt. Die Generalstaatsanwaltschaft beschuldigt ihn, sich als Mitglied der kurdischen Arbeiterpartei PKK eine „Kader“-Tätigkeit ausgeübt zu haben. So soll Ö. seit Juli 2019 bis zu seiner Festnahme für die politische und organisatorische Betreuung verschiedener „PKK-Gebiete“ verantwortlich gewesen sein. Dabei habe er Versammlungen durchgeführt, die Arbeit von Aktivist:innen koordiniert oder zur Teilnahme an Festivals oder anderen Großveranstaltungen mobilisiert, Nachwuchs angeworben und Spendengeldkampagnen überwacht. Eine individuelle Straftat wird ihm nicht vorgeworfen.
Gutachter gibt Auskunft über antikurdische Unterdrückung
Beim jüngsten Prozesstag am gestrigen Mittwoch trat der Türkei-Experte Burak Çopur als Gutachter auf. Der promovierte Politikwissenschaftler aus Essen gab dem Gericht unter anderem Auskunft über die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung durch den türkischen Staat. Die Verteidigung von Ali Ö. stellte Çopur auch Fragen zur politischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei. Der Experte ging dabei unter anderem auf den Einsatz von deutschem Giftgas beim Massaker von Dersim in den Jahren 1937 und 1938 sowie Rüstungsverkäufe an Ankara ein. Um den Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei am Leben zu halten, würde die Bundesregierung zudem die Unterdrückung von Kurdinnen und Kurden bewusst in Kauf nehmen, so Çopur.
Defend Kurdistan: Prozess begleiten, Öffentlichkeit schaffen
Die Verhandlung gegen Ali Ö. wurde von einigen Mitgliedern der lokalen Kurdistan-Solidarität beobachtet. Die Kampagne „Defend Kurdistan” rief dazu auf, den Prozess zu begleiten und Öffentlichkeit herzustellen für ein Verfahren, „dem handfeste wirtschaftliche, geostrategische und NATO- Interessen“ zugrunde liegen würden. Wie bei allen Verfahren nach dem Paragrafen 129b handele es sich um einen politischen Prozess. Dies mache allein schon die Ermächtigung des Bundesjustizministeriums zur strafrechtlichen Verfolgung deutlich, die im Einvernehmen mit anderen Bundesministerien und des Kanzleramtes erteilt wird. Der Prozess gegen Ali Ö. geht am Montag, 21. August, um 9.30 Uhr im Sitzungssaal II im Gerichtsgebäude E des OLG (Konrad-Adenauer-Str. 20) in Frankfurt weiter.
In der Türkei verfolgt, in Deutschland verurteilt
Ali Ö. lebt seit knapp dreißig Jahren in der Bundesrepublik. Weil er in der Türkei staatlicher Repression ausgesetzt war, kam er Ende 1994 nach Deutschland und hat hier politisches Asyl beantragt, das jedoch abgelehnt wurde. In den Folgejahren erhielt der Kurde regelmäßig Aufenthaltstitel in Form von Duldungen. Seit der Vater von sechs Kindern in Deutschland lebt, hat er sich „für den gerechten Kampf der Kurdinnen und Kurden um Befreiung, gegen Kolonialisierung, für Frieden, Demokratie und Selbstbestimmung“ politisch eingesetzt. Dass dieses Engagement auch hier angesichts der staatlichen Kriminalisierungspolitik gegenüber der kurdischen Bewegung folgenreich war, hat Ö. schmerzlich erleben müssen: Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen“ Vereinigung (§129 StGB), Bewährungsstrafe wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz und im Oktober 2016 dann noch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten nach §129a/b StGB. Der Kölner Rechtshilfefonds Azadî e.V. kritisiert, dass das systematisch von den deutschen Behörden als „Terrorismus“ kriminalisierte politische Engagement von Ali Ö. mit diesem Verfahren fortgeführt werde, „in dem Bestreben, die politische Identität und Gesinnung des Angeklagten zu brechen“.