Pervin Buldan: Stellvertreterprozess aus Rache für Kobanê

Das Verfahren gegen 108 Angeklagte in Ankara ist ein Stellvertreterprozess aus Rache für den Sieg gegen den IS in Kobanê. Die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan dankt für die internationale Solidarität und weist auf die Rechtswidrigkeit hin.

Die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan hat sich im Namen ihrer Partei für die internationale Solidarität angesichts des Prozessauftakts gegen führende Politikerinnen und Politiker am Montag in Ankara bedankt. Die erste Verhandlung im Prozess gegen 108 Angeklagte, darunter die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Fiğen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, sei von Rechtlosigkeit geprägt gewesen, erklärte die kurdische Politikerin auf der Fraktionssitzung ihrer Partei in Ankara:

„Vor dem Gericht wurde mit einem Großaufgebot der Polizei versucht zu verhindern, dass wir eine Erklärung abgeben und dabei von den Medien gefilmt werden. Zu Verhandlungsbeginn wurde knapp hundert Anwältinnen und Anwälte mit Verweis auf die Pandemie und Sicherheitsbestimmungen der Zugang in den Sitzungssaal verweigert, während der halbe Raum mit Polizisten gefüllt war. Der Einspruch der Verteidigung wurde ignoriert und nicht ins Protokoll aufgenommen. Unseren inhaftierten Kolleginnen und Kollegen wurde kein Rederecht erteilt und es wurde versucht, die Personalienfeststellung in Abwesenheit der Verteidigung durchzuführen.“

Mit der Verlesung von 28 Seiten der mit Unwahrheiten gespickten und 3530 Seiten umfassenden Anklageschrift seien angeblich die Formalitäten erfüllten worden, sagte Buldan: „Vermutlich hielt auch das Gericht es nicht für nötig, alle Lügen vorzulesen.“ Zusammengefasst lasse sich festhalten, dass die Verhandlung von Rechtswidrigkeiten beherrscht sei: „Der mit Lügen eingeleitete Prozess hat mit Rechtlosigkeit begonnen. Die Richter konnten ihre Parteilichkeit nicht verbergen und ihr Verhalten hat ihr Schuldgefühl und ihre Angst vor dem Aufdecken der Wahrheit widergespiegelt.“

Das gesamte Verfahren sei ein politisches Komplott und die HDP befinde sich nicht in der Position der Angeklagten, sondern der Kläger. Das werde sich im Verlauf der Prozesses zeigen, so die HDP-Vorsitzende: „Es handelt sich nicht um ein juristisches Verfahren, sondern um ein politisches. Es liegt nicht in den Händen der Justiz, sondern der AKP. In dem Prozess ist das Urteil vorab gefällt worden, der Palast persönlich ist gleichzeitig Staatsanwalt und Richter. Mit dem Verfahren soll die Fähigkeit unserer Partei für politische Veränderungen gebrochen werden. Es ist ein Verbotsprozess gegen die demokratische Politik und gegen eine gemeinsame Zukunft und ein Zusammenleben der Völker der Türkei. Die politische und gesellschaftliche Opposition soll zum Schweigen gebracht und die Solidarität zwischen den Völkern gebrochen werden. Es ist ein Stellvertreterprozess aus Rache dafür, dass Kobanê nicht zu Fall gebracht werden konnte. Die für die Todesfälle bei den damaligen Protesten verantwortlichen paramilitärischen Kräfte sollen reingewaschen werden. Mit diesem Prozess will sich die Regierung in einer Zeit der Korruptionsskandale und des Zusammenbruchs an der Macht halten. Wie auch das Verbotsverfahren gegen die HDP entbehrt die Anklage jeder Grundlage und wird zwangsläufig zusammenbrechen.“