Nordkurdistan und Türkei: Protest gegen Angriffe auf Rojava

Trotz Polizeiangriffen und Festnahmen fanden auch in Nordkurdistan und in der Türkei Proteste gegen die türkischen Angriffe auf Rojava statt.

Seit dem 23. Dezember fliegt die türkische Luftwaffe schwere Angriffe auf Rojava. Dabei wurden bisher mindestens acht Zivilist:innen getötet und großflächig zivile Infrastruktur zerstört. Während an vielen Orten weltweit Proteste stattfinden, versammelten sich am Mittwoch trotz massiver Repressalien auch in der Türkei und Nordkurdistan Menschen, um ihren Widerspruch zur türkischen Kriegspolitik deutlich zu machen.

Izmir – Polizeiangriff auf Kundgebung offenbart Doppelmoral des Regimes

In Izmir fand eine Solidaritätskundgebung mit Gaza statt. Als Teilnehmer:innen nicht nur die israelischen Angriffe auf Gaza, sondern auch die türkischen Angriffe auf Rojava verurteilten, griff die Polizei die Kundgebung an und nahm 21 Personen unter Gewaltanwendung fest. Die Festgenommenen wurden am Abend wieder entlassen.

Ebenfalls in Izmir fand eine Saalveranstaltung der DEM-Partei gegen die Angriffe auf Rojava und die massiven Festnahmewellen in der Türkei und Nordkurdistan statt. Die Ko-Vorsitzende des Provinzverbands der DEM-Partei in Izmir, Zehra Vazan Karabulut, erklärte, dass die AKP/MHP-Regierung Angst vor einer Niederlage bei den Kommunalwahlen habe, und sagte: „Die Regierung bringt die Politik des Krieges und der Gewalt, auf die sie während ihrer gesamten Amtszeit immer wieder zurückgegriffen hat, erneut auf die Tagesordnung und zwingt den Menschen erneut Blut und Tod als Wahlkampfmittel auf.“

Mit Blick auf die Angriffe auf zivile Siedlungen in Nord- und Ostsyrien betonte die Politikerin, dass Rojava die Hoffnung der Völker des Nahen Ostens auf ein gemeinsames Leben darstelle, und im Gegensatz dazu „die wahre Bedrohung der Sicherheit dieser Gesellschaft vom AKP/MHP-Regime ausgehe“.

Karabulut wies darauf hin, dass ihre Partei die wichtigste Oppositionskraft gegen die Regierung sei, und fügte hinzu: „Leider hat diese Regierung keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen und glaubt, dass sie mit intensiven Verhaftungsoperationen gegen unsere Partei Erfolg haben kann. Wir werden diese Politik der Regierung scheitern lassen.“

Istanbul – 15 Festnahmen nach Polizeiangriff auf Kundgebung

In Istanbul fand eine von Frauenbewegung TJA und dem Gefangenenhilfsverein MATUHAYDER organisierte Kundgebung in der Nähe des Bakırköy-Gefängnisses statt.


Neben Aktivist:innen von Mahnwache für Gerechtigkeit nahmen auch die Ko-Vorsitzende von MATUHAYDER, Dilek Demir Sönmez, Angehörige von Gefangenen, die Ko-Vorsitzenden des Istanbuler Provinzverbands der DEM-Partei, Gonca Yangöz und Murat Kalmaz, das Mitglied des Zentralen Exekutivkomitees der DEM-Partei, Musa Piroğlu, und viele weitere Personen an der Kundgebung teil. Die Kundgebung hatte die Hungerstreiks in den Gefängnissen im Fokus. Die Gefangenen fordern Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung in Kurdistan. Im Zusammenhang mit diesen Forderungen kamen auch die Angriffe auf Rojava zur Sprache. Der Ko-Vorsitzende des Istanbuler Provinzverbands der DEM-Partei, Murat Kalmaz, erklärte: „Die Angriffe schaden dem Frieden zwischen dem kurdischen und dem türkischen Volk. Wir unterstreichen die Forderung nach einem schnellstmöglichen Ende des Krieges gegen Rojava und eine Beendigung dieser Angriffe, insbesondere derer auf zivile Einrichtungen und Gebiete.”

In Folge umzingelte die Polizei die Kundgebung, beleidigte und bedrohte die Teilnehmer:innen. Die Polizisten schlugen die Ko-Vorsitzende Gonca Yangöz und versuchten, ihre Kleidung zu zerreißen. Die Teilnehmer:innen protestierten vehement gegen Angriff auf die Politikerin. Bei dem folgenden Polizeiangriff wurden 15 Personen, darunter Dilek Demir Sönmez, Gonca Yangöz und Fince Akman, unter Schlägen festgenommen und mit auf den Rücken gefesselten Händen abgeführt. Nach ihrer Freilassung kündigte Gonca Yangöz an, Anzeige zu erstatten.

Mersin – Kundgebung im Polizeikessel

Vertreter:innen und Mitglieder der DEM-Partei versammelten sich in der Provinz Mersin vor dem Kreisverband der Partei in Akdeniz. Die Polizei umstellte den Bereich und versuchte, die Kundgebung zu verhindern. Die Teilnehmer:innen riefen demgegenüber immer wieder: „Die Repression kann uns nicht einschüchtern“ und „Durch Widerstand werden wir siegen“.

Riha – Polizeiangriff auf Kundgebungsversuch

Die Kreisverband der DEM-Partei Serêkaniye/Kanîya Xezalan (tr. Ceylanpınar) in der Provinz Riha (Urfa) versuchte vor dem Gebäude der Partei, eine Kundgebung zu organisieren. Die Polizei griff die Teilnehmenden noch bevor diese sich versammeln konnten an. Dabei wurden zehn Personen, darunter der Ko-Vorsitzende Hizni Kılıç misshandelt und festgenommen. Das Telefon einer Person, welche den Kundgebungsversuch aufzeichnete, wurde von der Polizei zertrümmert. Während neun der Festgenommenen am Abend entlassen wurden, wurde der Gewahrsam für Mehmet Naci Yılmaz verlängert. Ihm wird vorgeworfen, er habe einem Polizisten den Finger gebrochen. Die Entlassenen haben sich ihre Verletzungen durch Polizeigewalt attestieren lassen und werden am Donnerstag Strafanzeige erstatten.

Adana – Akzeptiert die kurdische Realität und ihre Errungenschaften

In Adana veranstaltete die DEM-Partei gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Pressekonferenz im Gebäude des Provinzverbands. Der Saal war mit Transparenten mit Aufschriften wie „Nein zum Krieg! Wir sind gegen Krieg und Tod“ geschmückt. Die Ko-Vorsitzende der DEM Adana, Helin Kaya, protestierte mit folgenden Worten gegen die türkischen Angriffe auf Rojava: „Wenn Regierungen eine bellizistische Politik verfolgen, dann tun sie das meist, um ihre eigene Macht zu sichern. Das zeigt ihre Skrupellosigkeit. Kriege werden nie für die Völker, sondern für die Herrschenden geführt. Die AKP/MHP-Regierung versucht, sich unter dem Vorzeichen des Nationalismus zu profilieren und treibt das Land so in den Abgrund. Wir rufen mit aller Kraft: Für eine demokratische und aufgeklärte Türkei, gebt die Kriegspolitik auf. Akzeptiert die kurdische Realität und ihre Errungenschaften.“

Kundgebungen in Colemêrg und Gever

Der Provinzverband der DEM-Partei in Colemêrg (tr. Hakkari gab eine Presseerklärung vor dem Parteigebäude ab. Orhan Gür, Mitglied des Wahlausschusses der DEM-Partei, betonte in seiner Rede vor zahlreichen Zuhörer:innen, dass die rücksichtslosen Angriffe auf Nord- und Ostsyrien so schnell wie möglich gestoppt werden müssen. Gür sagte: „Dazu rufen wir die nationale und internationale demokratische Öffentlichkeit und alle Kriegsgegner:innen auf, aktiv zu werden. Gemeinsam können wir diesen Krieg, das Leid und den Tod stoppen.“

Eine große Zahl von Menschen nahm auch an der Kundgebung vor dem Bezirksbüro der DEM-Partei in Gever (Yüksekova) teil. Die Ko-Vorsitzende der DEM-Partei in Gever, Filiz Saygı, erinnerte daran, dass die Politik des AKP/MHP-Regimes auf Krieg und Kriegsverbrechen an Zivilist:innen beruhe.

Îdir – Kundgebung der DEM-Frauen

Unter Führung des Frauenverbands der DEM-Partei fand in Îdir eine Kundgebung statt. Die DBP-Politikerin Nejla Kum machte auf die Angriffe auf Rojava aufmerksam und erklärte: „Die Angriffe richten sich auch gegen Elektrizitäts-, Öl- und Gasversorgungsanlagen für die Menschen in der Region. Es ist bekannt, dass viele Menschen gestorben sind oder verletzt wurden. Bei den Opfern handelt es sich um Zivilpersonen, darunter Bauarbeiter. Die AKP/MHP-Regierung versucht, ihre Macht durch Krieg zu erhalten. Sie wird nicht in der Lage sein, dem Schicksal der vorherigen Regierungen, die nicht bereit waren, die kurdische Frage zu lösen, zu entgehen. Wir sagen ‚Stopp‘ angesichts dieses Wahnsinns. Diese rücksichtslosen Angriffe auf Nord- und Ostsyrien müssen so schnell wie möglich gestoppt werden.“

Dersim – Polizeiangriff auf Kundgebungsversuch

In Dersim versuchten die DBP und die DEM-Partei, gegen die Angriffe auf Rojava zu protestieren. Die Aktivist:innen versammelten sich hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Hände weg von Rojava, Rojava ist nicht allein“ auf Kurdisch und Türkisch. Die Polizei griff die Protestierenden sofort an und nahm sechs Personen fest. Die Festgenommenen wurden mittlerweile wieder freigelassen. Ihnen wird Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen.

Amed – Protest im Polizeikessel

Die Provinzverbände der DEM-Partei und der DBP Amed veranstalteten vor dem Kreisverband der DEM-Partei in Bajarê Nû (Yenişehir) eine Kundgebung, nachdem eine Kundgebung im Stadtteils Ofis verboten worden war. Die Ko-Vorsitzende des Provinzverbandes der DEM-Partei Amed, Pınar Sakık Tekin, erklärte: „Obwohl wir seit hundert Jahren sagen, dass diese Politik, die darauf abzielt, einem Volk jeden Status zu verweigern, ihm zu verbieten, seine Sprache zu benutzen, und jede Lösung zu verweigern, wird in der selben Mentalität damit weitergemacht, die Gesellschaft zu polarisieren und die demokratische Politik und ihre Politiker:innen ins Visier zu nehmen. Die Versuche, mit Hilfe der Justiz gegen das Festhalten an einer demokratischen Politik vorzugehen, schaden dem sozialen Frieden und lassen das Vertrauen in die Justiz in Frage stellen. Die Versuche, die Bevölkerung durch die inzwischen zur Tradition gewordenen politischen Vernichtungsfeldzüge vor jeder Wahl an der Teilnahme an der demokratischen Politik zu hindern, haben bisher nichts gebracht und können auch nichts bringen. Obwohl die Operationen gegen unsere politischen Kader und Jugend mit aller Macht darauf abzielten, unsere Partei als Hoffnung unseres Volkes auszuschalten, hatten diese niemals Erfolg und gingen auch im Angesicht des öffentlichen Diskurses nach hinten los.

In Nord- und Ostsyriens wurden soziale Einrichtungen und die Infrastruktur vieler Städte angegriffen. Diese Angriffe auf die Stabilität des Nahen Ostens und den sozialen Frieden verursachen irreparable Wunden bei den Völkern. Sie müssen so schnell wie möglich eingestellt werden.“

Die Polizei kesselte die Menschenmenge ein, als die Sprache auf Rojava kam. Die Menschen reagierten mit der Parole: „Die Repression kann uns nicht einschüchtern“.

Proteste in Semsûr

Auch in Semsûr (Adiyaman) fand eine Protestaktion statt. Die DEM-Partei veranstaltete eine Kundgebung gegen die türkischen Angriffe auf Rojava in der Stadt. An der Aktion nahmen auch viele Mitglieder der Vorstände des Provinz- und der Bezirkverbände der DEM-Partei teil.

Hüseyin Coşkun, Ko-Vorsitzender des Provinzverbands DEM-Partei in Semsûr, erklärte: „Allein in diesem Jahr wurden 117 Luftangriffe von türkischen Kampfflugzeugen auf Nord- und Ostsyrien durchgeführt und 86 Menschen getötet. Es ist klar, dass das Hauptziel der Angriffe Kurden sind. Diese umfassenden Angriffe auf die kurdische Bevölkerung und die anderen Völker der Region, in Folge der jüngsten Auseinandersetzungen und dem Verlust von Menschenleben, werden das Leid nur noch verschlimmern. Die Völker in der Türkei fordern jetzt eine würdige demokratische Lösung und Frieden, sie wollen keine Fortsetzung der Politik der Lösungslosigkeit.

Wie wir in den letzten 40 Jahren schmerzlich erfahren mussten, können Krieg und Konflikt niemals im Interesse der Gesellschaft in der Türkei sein. Wir fordern ein Ende dieses Kriegswahnsinns auf allen Gebieten. Die Angriffe auf Nord- und Ostsyrien müssen so schnell wie möglich gestoppt werden. In diesem Sinne rufen wir die gesamte demokratische Öffentlichkeit und alle Kriegsgegner auf, aktiv zu werden. Gemeinsam können wir diesen Krieg, das Leid und den Tod stoppen.“