Neue Informationen über die Situation Öcalans

Cemil Bayık, Ko-Vorsitzender der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), berichtet im Gespräch mit der Nachrichtenagentur ANF über die aktuelle Situation Abdullah Öcalans auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali.

Herr Karayilan erklärte vor wenigen Tagen, dass im Zuge des Widerstands in Efrîn eine Delegation nach Imrali gefahren sei. Daraufhin sei das Foltersystem auf der Insel nochmals verschärft worden. Was haben Sie diesbezüglich für Informationen?

Nach der Erklärung des CPT (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) erreichten uns noch weitere Informationen, die bei uns Zweifel nährten, ob das CPT womöglich seine Erklärung zwei Jahre später veröffentlichte, um die Repression auf Imrali zu verbergen. Den Informationen zufolge, die wir bekommen haben, ist während des Widerstands in Efrîn eine Delegation nach Imrali gefahren und hat Herrn Öcalan unter Druck gesetzt. Als diese Drohungen bei Herrn Öcalan folgenlos blieben, soll die Repression verschärft worden sein. Es heißt, dass die Repression gegen Öcalan mit Efrîn und Rojava zusammenhängt und Öcalan gegenüber dieser Herangehensweise eine klare ablehnende Haltung eingenommen habe. Demnach wurden aufgrund seiner ablehnenden Haltung das Radio und Fernsehen von Öcalan beschlagnahmt, sein Freiraum im Allgemeinen wurde eingeschränkt.

Diese Informationen erreichten uns nach der Besatzung des Stadtzentrums von Efrîn. Murat Karayilan hatte die vergangenen Tage dazu eine Erklärung veröffentlicht. Die Informationen hatten uns erst kurz zuvor erreicht. Die Erklärungen des CPT hatten uns auch nicht befriedigt. Deshalb sorgte die jüngste Erklärung des CPT bei uns für noch mehr Beunruhigung. In diesem Kontext hat Karayilan das CPT dazu aufgerufen, seiner Verantwortung gerecht zu werden und die türkischen Staatsvertreter gewarnt.

Die Informationen, die uns erreichten, sind nicht sehr umfassend, sondern erreichten uns indirekt. Die Kontaktperson hat einige unserer Verbindungen erreicht und Informationen an uns weitergegeben, die zeigen, dass während des Widerstands von Efrîn Druck auf Öcalan ausgeübt wurde und aufgrund seiner widerständigen Haltung Radio und Fernsehen beschlagahmt wurden.

Natürlich können wir nicht sagen, dass diese Informationen zu hundert Prozent richtig sind. Doch wir denken, dass die Person, die uns diese Information zukommen ließ, vertrauensvoll ist. Doch Informationen über Vermittler können unzureichend und fehlerhaft sein. Wenn es um Öcalan geht, beunruhigen uns aber jegliche Informationen und wir nehmen sie stets sehr ernst.

Wir wissen aus den Vorjahren, dass immer wenn der Kampf der Gesellschaft sich intensiviert bzw. sich die Gefechte zwischen der Freiheitsbewegung Kurdistans und des türkischen Staates ausdehnen, Imrali als erster Ort der Unterdrückung seitens der AKP ausgewählt wird. Die Repressionen auf Imrali wurden weiter entwickelt und die Einschränkungen ausgeweitet. Wenn man beachtet, wie sehr der Krieg in den letzten zwei Jahren an Brutalität gewonnen hat, und was für einen Widerstand dagegen geführt wurde, ist es logisch, dass die Unterdrückung gegen Öcalan auf Imrali angewandt und verstärkt wird. In dieser Hinsicht haben unsere Freunde aufgrund der indirekten Information und Vermittlungen eine Erklärung veröffentlicht und Warnungen ausgesprochen.

Die Situation von Öcalan ist uns unbekannt. Doch wir bekommen von Zeit zu Zeit immer wieder Informationen, denen zufolge Öcalan kontaktiert und versucht wurde, ihn in einigen Punkten zu erpressen, er dies jedoch ablehnte. Vor anderthalb Jahren erhielten wir eine ähnliche Information. Auch einige unserer Verbindungen zum Staat gaben dementsprechende Informationen an uns weiter. Wir wissen nicht, wie viel davon richtig ist. Aber die Information, dass Öcalan kontaktiert wurde und Forderungen an ihn gerichtet werden, hat uns mehrfach erreicht. Das sind indirekte Informationen. Wir können nicht sagen, ob sie wirklich stimmen.

Diese Entwicklungen können als Maßnahmen dagegen verstanden werden, dass die Ideen von Herrn Öcalan derzeit im Mittleren Osten und Kurdistan praktisch umgesetzt werden. Wie bewerten Sie diesen Aspekt?

Durch Herrn Öcalan schafften das kurdische Volk und alle anderen Völker des Mittleren Ostens einen Neuanfang. In diesem Zusammenhang feiern wir alle gemeinsam den heutigen Geburtstag von ihm am 4. April. Ich bin der festen Überzeugung, dass Herr Öcalan viele Errungenschaften für das kurdische Volk, die Völker des Mittleren Ostens und die gesamte Menschheit erkämpft hat. Seine Überlegungen sind sehr bedeutungsvoll und wichtig für alle Völker des Mittleren Ostens und die Menschheit. Daher betrachten nicht nur die anti-kurdischen politischen Akteure seine freiheitlichen, anti-kapitalistischen und auf eine demokratische Moderne abzielenden Gedanken als Gefahr, sondern alle rückwärtsgewandten und despotischen Kräfte in der Region. Auch die Akteure der kapitalistischen Moderne bewerten seine Ideen als Gefahr für ihre eigenen Interessen. Die Kräfte der kapitalistischen Moderne können die dahinter stehende Mentalität und den Kampf nicht akzeptieren, denn auf deren Grundlage soll eine basisdemokratische, auf Frauenbefreiung beruhende und ökologische Gesellschaft aufgebaut werden. Durch eine organisierte Gesellschaft soll ein demokratisch-konföderales System etabliert werden. Daher wird alles dafür getan die Verbreitung der Ideen von Herrn Öcalan zu behindern.

Die ideologische Feindschaft mit Herrn Öcalan

Die Ideen Herrn Öcalans haben das Potential die despotischen Systeme im Mittleren Osten zu zerschlagen. Sie können den Nationalismus im Mittleren Osten zerschlagen, der von der kapitalistischen Moderne in die Region getragen wurde. Daher nehmen die Kräfte, die insbesondere seit 200 Jahren mithilfe des Nationalstaats und des Nationalismus einen immensen Druck auf die Völker und Gesellschaften des Mittleren Ostens ausüben, eine feindliche Haltung gegenüber den Ideen von Herrn Öcalan und deren praktischer Umsetzung durch die Freiheitsbewegung Kurdistans ein. Sie möchten nicht, dass sich die Ideen von ihm im Mittleren Osten verbreiten, entwickeln und so an Stärke gewinnen. An erster Stelle dieser Akteure steht der türkische Staat. Er versucht alles, um die Verbreitung von Öcalans Ideen in der Türkei, aber auch in den anderen Teilen des Mittleren Ostens zu verhindern. Die Feindschaft der AKP gegenüber Herrn Öcalan und der Freiheitsbewegung Kurdistans basiert hauptsächlich auf der kolonialistisch-ausbeuterischen Mentalität und der Kurdenfeindlichkeit der AKP. Zudem wissen sie, dass die von Herrn Öcalan vertretene Mentalität neben der AKP/MHP auch alle anderen rückständigen Kräfte im Mittleren Osten zurückdrängen wird. Die Grundlage der AKP/MHP-Feindschaft gegenüber Herrn Öcalan ist ein ideologischer Angriff. Im Zusammenspiel mit der Kurdenfeindlichkeit gewinnen die Angriffe noch an zusätzlicher Intensität.

Im Zusammenhang mit Rojava verweisen Tayyip Erdoğan und sein faschistisches Regime immer wieder auf die Partei der Demokratischen Einheit (PYD) und die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Die Arbeiter*innenpartei Kurdistans (PKK) ist dort nicht präsent, aber die Ideen Herrn Öcalans. Genau davor haben sie Angst. Sie erklären alle zu ihren Feinden, die Öcalans Ideen bejahen, sie verteidigen und ein ihnen entsprechendes Leben aufbauen. Nicht nur die Kurdinnen und Kurden schließen sich den Gedanken Öcalans an, sondern auch Araber*innen und Assyrer*innen. Auch sie betrachtet die AKP/MHP als Feinde. Auch der Volksrat von Raqqa gilt für sie als Feind, weil er von den Ideen Öcalans beeinflusst wird und ein entsprechendes demokratisches Verständnis an den Tag legt. Seine Haltung ihnen gegenüber lautet in etwa so, „Sie alle gehören zur PKK und deshalb werde ich sie zerschlagen“.

In Şengal wurden die Ezid*innen von den Ideen Öcalans beeinflusst, was der türkische Staat wiederum als Verbrechen betrachtet. All jene erklärt er zu seinen Feinden, die ein demokratisches Verständnis entlang der Ideen Öcalans entwickeln. Er betrachtet er als gefährlich und versucht sie auszulöschen. Die Feindschaft der AKP/MHP richtet sich definitiv gegen die Ideen Öcalans und deren praktische Umsetzung. Warum halten sie die Drohung gegen Şengal weiter auf der Tagesordnung? Weil sie sehen, dass die dortigen Ezid*innen von den Ideen Öcalans beeinflusst werden. Sie sagen ihnen: „So dürft ihr nicht denken. Ich dürft nicht auf ein demokratisches System mit einer organisierten Gesellschaft hinarbeiten. Ihr dürft kein demokratisch-konföderales System aufbauen. Ihr dürft euch nicht die Befreiung der Frau zum Ziel nehmen! Wenn ihr all das tut, werde wir euch als unsere Feinde betrachten.“ Wenn man die Angriffe auf diese Art und Weise betrachtet, versteht man die Feindschaft gegenüber der Revolution in Rojava, den Araber*innen in Raqqa und all den Araber*innen und Assyrer*innen, die freundschaftliche Beziehungen zum kurdischen Volk unterhalten.

Zudem müssen wir auch Folgendes sehen: Wenn die Ideen Öcalans – die auf der Völkerfreundschaft basieren – sich im Mittleren Osten durchsetzen, wird keine fremde Macht mehr in der Lage sein, die Völker gegeneinander aufzubringen und so den eigenen Einfluss in der Region zu sichern. Daher sind auch alle äußeren, globalen Mächte gegen die durch Öcalan hervorgebrachte Mentalität, durch die jegliche Wurzeln des Nationalismus zerstört werden. Herr Öcalan stellt sich sowohl gegen den Nationalismus, als auch gegen konfessionelles Sektierertum. Sie sind wichtige Gründe für die Konflikte im Mittleren Osten. Wer auch immer von den Konflikten im Mittleren Osten profitiert, begreift Herrn Öcalan als seinen Feind. Die Feindschaft gegenüber Herrn Öcalan sollte man in dieser Hinsicht betrachten.

Der türkische Staat setzt all die Isolationsmaßnahmen gegen Öcalan praktisch um. Aber auch der Europarat und das CPT sind mitverantwortlich für eine derart schwere Isolation im Gefängnis. Auch sie verschließen ihre Augen vor der verstärkten Isolation Öcalans. Dadurch wird verhindert, dass Herr Öcalan Kontakt zu seiner Familie, seinen Anwält*innen oder mit der Außenwelt aufnehmen kann. Das bedeutet zugleich, dass neben der Person Öcalans auch seine Ideen isoliert werden sollen. Es handelt sich hier nicht nur um die Isolation einer einzelnen Person. Im Endeffekt werden ein ganzes Volk und die gesamte Menschheit in Isolationshaft gehalten. Die Isolationshaft ist der praktische Ausdruck der Feindschaft gegenüber Öcalans Ideen und deren Verbreitung.