NAV-BEL fordert harte Konsequenzen für Lynchattacken

Im Brüsseler Europaquartier wurde gegen die rassistischen Lynchattacken vom Sonntag protestiert. Der kurdische Dachverband NAV-Bel forderte Konsequenzen. Politik und Behörden müssten sich ein präziseres Bild vom türkischen Rassismus machen.

Gewaltorgien gegen Kurden nach Newroz

Im Brüsseler Europaquartier haben hunderte Kurdinnen und Kurden sowie solidarische Menschen gegen die rassistischen Lynchattacken vom Sonntag protestiert. Der Dachverband kurdischer Vereine in Belgien (NAV-BEL) forderte Politik und Sicherheitsbehörden auf, sich ein präziseres Bild vom türkischen Rechtsextremismus sowie Nationalismus zu machen und konsequent gegen die Angreifer vorgehen. „Wenn türkische Faschisten aus rassistischer Motivation eine Hetzjagd gegen kurdische Menschen abhalten und Lynchmobs vor den Augen der Polizei Gewaltexzesse begehen, dann stehen nicht nur Menschenleben auf dem Spiel, sondern auch Rechtstaat und Demokratie“, sagte eine Sprecherin von NAV-Bel. Verantwortliche müssten dringend und unverzüglich handeln, um sicherzustellen, dass Rechtsextremismus, egal aus welcher Ecke er stammt, nichts mit den Grundwerten einer Demokratie zu tun hat.


Am Sonntag war es in zwei Limburger Gemeinden zu Lynchattacken gegen Kurdinnen und Kurden gekommen, die zuvor das kurdische Neujahrsfest Newroz gefeiert hatten. An mehreren Orten in den Gemeinden Houthalen-Helchteren und Heusden-Zolder wurden Menschen zum Ziel von Gewaltorgien hunderter Anhänger der ultranationalistischen Bewegung „Graue Wölfe“, die unter Takbir-Rufen und Beleidigungen wie „Dreckskurden“, „Hurensöhne“ und „PKK-Bastarde“ mehrere Personen bewusstlos prügelten, Autos demolierten und das Haus einer kurdischen Familie aus Rojava, in dem Dutzende Schutz vor der rassistischen Horde suchten, belagerten, Fensterscheiben einschlugen und versuchten, es in Brand zu stecken. Nach bisherigem Stand forderten die Lynchattacken mindestens sieben Verletzte. Zwei von ihnen sind in einem kritischen Zustand, eines der Opfer wurde wohl mit einem Messer niedergestochen. Ein Jugendlicher, auf den noch eingetreten wurde, als er bereits leblos auf dem Boden lag – das ist auf Videos zu sehen, die von den Angreifern im Netz gepostet wurden – gilt als vermisst.

Für pogromähnliche Übergriffe kann es keine Legitimation geben

Der Tenor der belgischen Medien geht derweil in die Richtung, dass Kurd:innen die Angriffe selbst provoziert hätten, weil sie mit Konvois durch Gebiete mit einem hohen Anteil an türkischstämmigen Bewohner:innen fuhren. NAV-BEL zeigte sich empört: „Selbst wenn dem so gewesen wäre, kann dies doch keine Legitimation pogromähnlichen Übergriffe und Lynchattacken durch Graue Wölfe gegenüber kurdischen Menschen sein?“, so die Sprecherin. Sie wies diese Darstellung entschieden zurück. Die Art und Weise und das Ausmaß der Angriffe ließen vielmehr erahnen, dass es sich um eine „koordinierte und geplante Aktion“ handelte, zu der sich die Beteiligten im Vorfeld verabredet hätten. Es gelte als sicher, dass sie Kenntnis von der Newroz-Feier und der Route hatten, die von den Teilnehmenden genommen wurde. Rund 5.000 Menschen hatten sich am Newroz-Fest in Löwen beteiligt. Unter ihnen waren auch Bewohnende der Gemeinden Houthalen-Helchteren und Heusden-Zolder.

Der Verband formulierte auch scharfe Kritik an den Einsatzkräften der belgischen Polizei, die die Lage gestern trotz Großaufgebot, Wasserwerfer und Hubschrauber nur mit Mühe und erst nach Stunden unter Kontrolle bringen konnten – „oder wollten“. Kritisch sieht NAV-BEL auch, dass es bisher nur zur Festnahme eines Angreifers gekommen ist, obwohl hunderte an der Gewaltorgie beteiligt waren. „Die Polizei wertet noch immer Videoaufnahmen aus, um weitere mögliche Verdächtige zu identifizieren“, hieß es am Montag von der Dienststelle CARMA. Das dürfte nicht besonders schwerfallen, da Dutzende Videos von den Attacken auf Plattformen wie X, Instagram und TikTok in Umlauf gebracht wurden.

Antikurdische Stimmungsmache in belgischen Medien

An der Kundgebung, auf der ein großes Transparent mit dem Konterfei von PKK-Begründer Abdullah Öcalan sowie Fahnen der PKK, PJAK und KJAR gezeigt wurden, beteiligten sich auch Vertreterinnen und Vertreter des europäischen Dachverbands kurdischer Vereine (KCDK-E) und der in Nord- und Ostsyrien aktiven Partei PYD. Die Exil-Politikerin Zübeyde Zümrüt, die Ko-Vorsitzende des KCDK-E ist, hob hervor, dass die Lynchattacken von gestern nicht unabhängig von der antikurdischen Politik des türkischen Staates gelesen werden dürften. Sie wies auch darauf hin, dass der stellvertretende Bürgermeister von Heusden-Zolder, bei dem es sich um einen türkischstämmigen Mann handelt, der bekannt sei für seine Verbindungen zu den „Grauen Wölfen“, die Fakten verzerre und in den Medien Stimmungsmache gegen Kurdinnen und Kurden betreibe. Belgische Medien würden diese „Kriminalisierung eines Volkes“ unhinterfragt übernehmen.

Vorfälle mit der Polizei

Am Rande der Kundgebung, die auf dem zentralen Place du Luxembourg stattfand, kam es mehrmals zu Vorfällen. Jugendliche riefen „Diktator Erdoğan“ und „Wir verlangen Rechenschaft“ und entfernten sich vom Platz, die Polizei setzte mehrmals Pfefferspray ein. Die Veranstalter:innen mussten immer wieder eingreifen, um die Spannungen zu entschärfen. Am Ende wurde die Kundgebung von der Polizei aufgelöst. „Es kam zu Spannungen wegen zwei Personen, die nicht zur Demonstration gehörten“, sagte die Polizei. „Deshalb mussten wir Tränengas einsetzen.“ Fünf Personen wurden zwecks Identitätsfeststellung abgeführt.

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