Verschleppte Ezidinnen gefangen gehalten
Die Bundesanwaltschaft hat vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf Anklage gegen einen mutmaßlichen Terroristen der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) erhoben. Sie wirft dem Syrer Ossama A. unter anderem Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Völkermord vor, wie die Karlsruher Anklagebehörde am Mittwoch mitteilte. Der Staatsschutzsenat des OLG muss nun entscheiden, ob es zu einem Prozess kommt.
Ossama A. war im vergangenen April in Essen festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft soll er sich spätestens 2014 in der ostsyrischen Provinz Deir ez-Zor dem IS angeschlossen und eine Führungsrolle in der örtlichen Sicherheitsabteilung übernommen haben. Dabei soll er eine zentrale Rolle bei der vom IS erzwungenen Inbesitznahme von Gebäuden und der Verwertung geplünderter Gegenstände gespielt haben.
Bei 13 Gelegenheiten soll A. mit einer von ihm angeführten Einheit vor allem Privathäuser beschlagnahmt haben. Diese habe der IS dann zur Unterbringung von Söldnern, als Büros oder Lager genutzt. Zwei der Gebäude nutzte der IS als Gefängnisse für aus dem Şengal verschleppte Ezidinnen, die dort dann sexuell missbraucht und ausgebeutet worden seien. Dies sei „integraler Bestandteil“ des von der Vereinigung verfolgten Ziels der „Vernichtung“ der ezidischen Religionsgemeinschaft.
„Ossama A. überwachte eines dieser Gefängnisse und verschaffte IS-Kämpfern Zutritt dazu. Das Gebäude wurde bei einem Luftangriff teilweise zerstört“, so die Bundesanwaltschaft weiter. Im Sommer 2014 soll der Syrer zudem seinen damals 13-jährigen Neffen für den IS rekrutiert haben. Der Junge habe zunächst eine militärische Ausbildung erhalten und später an Gefechten in Aleppo teilgenommen.
Genozid und Femizid in Şengal
Der IS hatte 2014 weite Teile des Irak und Syriens überrannt und eine Schreckensherrschaft installiert. Über die Staatsgrenzen hinweg rief die Dschihadistenmiliz ein „Kalifat“ aus und tötete tausende Menschen. Im ezidischen Hauptsiedlungsgebiet Şengal im Nordwesten des Iraks verübte der IS im August 2014 einen Genozid und Femizid. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen und der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Etwa 10.000 Menschen fielen jüngeren Schätzungen nach Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 weitere wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.500 von ihnen vermisst. Nach mehrjährigen und opferreichen Offensiven sowohl im Irak als auch in Syrien konnte die Miliz 2017 bzw. 2019 militärisch besiegt werden. IS-Schläferzellen sind aber in beiden Ländern weiter aktiv und verüben Anschläge.