In der Türkei finden am 14. Mai Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Meral Danış Beştaş ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der HDP und kandidiert für die Grüne Linkspartei (YSP) in Erzîrom (tr. Erzurum) für einen Sitz in der Nationalversammlung der Türkei. Die 56-jährige Juristin ist seit 2015 Parlamentsabgeordnete.
Wir haben die kurdische Politikerin und zweifache Mutter nach ihren Prioritäten im Wahlkampf gefragt. In ihrer Antwort betont Meral Danış Beştaş: „Zunächst einmal geht es um eine Regierung, die seit zwanzig Jahren an der Macht ist, und eine Praxis, die jeden Aspekt des Lebens erschwert und sich nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Sie hat das Land fast vollständig ruiniert. Was die Meinungsfreiheit, das Recht auf politische Betätigung, die Wirtschaft und Grundfreiheiten angeht, befindet sich die Türkei am Boden."
Im gesamten Land habe niemand wirtschaftliche Sicherheit und persönliche und politische Freiheit, stellt Beştaş fest: „Es gibt einen großen sozialen Stau. Der einzige Ausweg ist, diese Regierung aus dem Amt zu jagen. Sie ist eine Regierung, die das eine sagt und das Gegenteil tut. Sie macht das Gegenteil von dem, was sie wirtschaftlich vorhat. Sie ändert ihre eigenen Gesetze dutzende Male und versucht, unsere Partei über die Justiz einzuschüchtern. Verwaltung, Politik, Gesellschaft - in jeder Hinsicht ist der Endpunkt erreicht. Es gibt eine große Reaktion und Wut. In dieser Hinsicht sind die Wahlen historisch und das Volk wird das letzte Wort haben."
„Es ist wichtig, dass wir stark ins Parlament einziehen“
Beştaş weist darauf hin, wie wichtig der starke Einzug der Grünen Linkspartei in das Parlament ist und dass die Parlamentswahlen für sie an erster Stelle stehen: „Unsere erste Priorität sind die Parlamentswahlen. Wir versuchen, eine möglichst breite Vertretung zu gewährleisten, sowohl in den kurdischen Provinzen als auch in allen anderen Regionen der Türkei. Und warum? Weil wir die Koexistenz der Völker der Türkei und ihr Leben unter gleichen und freien Bedingungen verteidigen. Die 100 bis 120 Abgeordneten, die wir bekommen werden, werden sehr wichtig sein. Denn die Regierung wird stürzen, zerfallen und sich auflösen; was sie zusammenhält, ist zerrissen. Wenn sie die Macht verliert, wird es keine Elemente mehr geben, die sie zusammenhalten. Sie wird wie die früheren Regierungsparteien ANAP und DYP verschwinden. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, dass wir den Willen des Volkes im Parlament widerspiegeln. Es wird sich eine Basis bilden. Wir bemühen uns, eine eigene Vertretung der Provinzen nach Ankara zu schicken. Im Hinblick auf die Verfassungsänderungen und die aktuellen Dekrete ist es wichtig, dass wir mit Nachdruck ins Parlament einziehen."
„Die Isolation von Öcalan hat eine rechtliche und politische Dimension“
Meral Danış Beştaş hat an der Dicle-Universität in Amed Jura studiert und nach ihrem Abschluss 1990 viele Jahre als Rechtsanwältin gearbeitet. Unter anderem trat sie in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Verteidigerin auf. Die Menschenrechte und das Rechtssystem in der Türkei haben auch in ihrer politischen Arbeit Priorität. Die Isolation von Abdullah Öcalan und seinen drei Mitgefangenen im Inselgefängnis Imrali stehen für sie sinnbildlich für die Gesetzlosigkeit und die politische Justiz im Land:
„Isolation ist die größte Rechtlosigkeit in diesem Land. Und warum? Weil die gesetzlichen Bestimmungen sehr klar sind: Untersuchungs- und Strafgefangene haben, egal wer sie sind, das Recht auf Kommunikation. Telefonanrufe, Briefe, Familienbesuche, Anwaltsbesuche sind nirgendwo auf der Welt so eingeschränkt wie hier. Selbst wenn die Menschen in einer Zelle sitzen, sind sie nicht von der Außenwelt abgeschnitten. Auf Imrali hat Herr Öcalan jedoch keinen Kontakt, wie wir wiederholt festgestellt haben. Ist er dort oder nicht? Ist er vielleicht in einem anderen Gefängnis? Ist er krank oder gesund? Ich will es nicht sagen, aber ist er am Leben? Denn es kommt kein einziger Ton. Es kann keine größere Gesetzlosigkeit als diese geben. Das ist Qual und Folter für die Menschen und seine Familie.
Die Frage hat auch eine politische Dimension. Wir wissen, dass es in der Vergangenheit zu heftigen Reaktionen in dieser Frage gekommen ist. Herr Öcalan wurde zum Hauptgesprächspartner bei der Lösung der kurdischen Frage. Diese Rolle hat er zweieinhalb Jahre lang gespielt, die Völker haben aufgeatmet und hoffnungsvoll in die Zukunft geblickt. Die Mehrheit des kurdischen Volkes erkennt ihn als Repräsentanten ihres Willens an. Isolation heißt auch, die kurdische Frage nicht zu lösen und den Krieg fortzusetzen. Anders ist es nicht zu erklären, dass auf die Forderungen nach Frieden und einer Lösung mit Isolation reagiert wird. Die aus politischen Motiven und Zwecken auferlegte Isolation muss aufgehoben werden."