Mehrere deutsche Innenpolitiker haben in den vergangenen Wochen eine Lockerung des Abschiebe-Stopps nach Syrien gefordert. Vom 9. bis 11. Dezember findet eine Konferenz der Innenminister statt. Dort will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine solche Abschiebung insbesondere bei „Gefährdern“ möglich machen. Bei diesen sogenannten „Gefährdern“ handelt es sich in vielen Fällen um vermeintliche oder reale Dschihadisten, es könnten aber auch unter Umständen Vertreter*innen des in Deutschland kriminalisierten kurdischen Widerstands sein. Für Syrien gilt seit 2012 ein genereller Abschiebestopp. Die Regelung läuft noch bis zum Jahresende. Seehofer will allerdings statt des ausnahmslosen Abschiebestopps künftig eine Einzelfallprüfung durchsetzen.
Medico warnt vor „Tabubruch“
Till Küster, Nahost-Koordinator bei der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international, erklärt: „Sollten die Forderungen ernst gemeint sein und über den üblichen Abschiebe-Populismus hinausgehen, der ja mittlerweile zum Vorprogramm der IMK gehört, dann hätten wir es mit einem absoluten Tabubruch zu tun. Wer populistisch von kriminellen Syrern und ihrer Abschiebung spricht, muss aber auch den politischen Preis benennen, den das kosten würde. Dazu würde die Kooperation mit einem Repressionsregime unter Machthaber Assad zählen, das geschätzt 150.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert, getötet oder verschwinden lassen hat.“
Die neu entfachte Debatte konterkariere außerdem die positiven Entwicklungen in der juristischen Aufarbeitung der syrischen Diktatur – auch in Deutschland und Europa. „Das Grauen in syrischen Gefängnissen ist genauestens beschrieben und dokumentiert. So gut dokumentiert, dass sich derzeit in einem historischen Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz zwei syrische Geheimdienstmitarbeiter wegen tausendfacher Folter und dutzendfachem Mord verantworten müssen.“ Auch in anderen europäischen Staaten sind ähnliche Verfahren in Vorbereitung, die Niederlande prüfen gar eine Anklage gegen Machthaber Assad selbst.
Ein Rechtsstaat darf niemanden bewusst der Gefahr von Folter aussetzen
Medico schließt mit dem Hinweis: „Dass Innenminister Seehofer nicht einmal den Prozess an einem deutschen Gericht abwarten möchte, welches das Foltersystem in Syrien untersucht, lässt nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder hat er keine Kenntnis vom Prozess in Koblenz oder es ist ihm egal, was dort an Verbrechen und Grausamkeiten syrischer Behörden verhandelt wird. Man kann nur hoffen, dass die Innenministerkonferenz dieser Ignoranz nicht folgen wird. Ein Rechtsstaat darf niemanden – auch keine Straftäter – bewusst in die Gefahr einer solchen Behandlung bringen.”
Abschiebungen auch in türkische Besatzungszone gefordert
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Thorsten Frei, hatte Ende November gegenüber der „Rheinischen Post“ erklärt, es sei zu prüfen, ob Gefährder in die türkische Besatzungszone in Nordsyrien zurückgeführt werden können. Zudem rief er Bundesaußenminister Heiko Maas auf, baldmöglichst ein „ausführliches und differenziertes Lagebild“ über Syrien zu erstellen. Auch hierüber soll auf der IMK in dieser Woche entschieden werden.
Jelpke: Abschiebestopp darf nicht aufgeweicht werden
Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, bezeichnete Seehofers Forderungen nach dem Ende eines Abschiebestopps nach Syrien als „unverantwortlich“. Sie erklärte: „Wer in dieses Land abschieben will, handelt fahrlässig und nimmt eine Gefährdung der Betroffenen billigend in Kauf. Selbst das Auswärtige Amt weist in seinem Lagebericht darauf hin, dass es in Syrien keine verfolgungssicheren Gebiete gibt. Der Abschiebestopp darf nicht aufgeweicht werden.“
Selektive Abschiebungen sind Türöffner für Massenabschiebungen
Die linke Politikerin gab auch ein deutliches Statement zur Abschiebung von sogenannten Gefährdern oder Straftätern ab: „Menschenrechte sind unteilbar – sie gelten auch für sogenannte Gefährder und Straftäter. Außerdem steht zu befürchten, dass innenpolitische Hardliner bereits an einer allgemeinen Akzeptanz von Abschiebungen nach Syrien arbeiten. Die Debatte über Abschiebungen von ‚Gefährdern‘ dient ihnen als Türöffner, um langfristig auch andere Gruppen nach Syrien abschieben zu können. Ähnlich war es bei Afghanistan zu beobachten. Dieser rücksichtslosen Politik muss eine klare Absage erteilt werden.“