Am 9. Januar wurde das Staatsschutzverfahren gegen Mehmet Çakas vor dem OLG Celle fortgesetzt. Der kurdische Aktivist ist wegen PKK-Mitgliedschaft angeklagt, nach §129b StGB eine „terroristische Vereinigung im Ausland“. Nachdem der Sachverständige Günter Seufert beim vorherigen Prozesstag im Dezember ein Gutachten vorlegte, wurde er nun, am fünfzehnten Verhandlungstag, von Mehmet Çakas und den beiden Verteidigern Björn Elberling und Ulrich von Klinggräff befragt. Die Fragen von Mehmet Çakas waren durchdacht und präzise gestellt. Sie zeigten Lücken und Widersprüche in dem Gutachten auf und verdeutlichten die dahinterliegende Ideologie, zum Beispiel wie Begriffe wie Freiheit und Demokratie gefüllt sind und wie Fakten eingeordnet und bewertet werden.
Eurozentristisches Staatsverständnis
Besonders widersprüchlich waren die Beschreibungen der PKK und der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), der Dachorganisation der kurdischen Freiheitsbewegung. Das System der KCK basiert auf der Selbstorganisierung der Bevölkerung, auf kultureller und religiöser Pluralität, auf Frauenbefreiung und Ökologie. Seufert stimmt dem freimütig zu und ergänzt, das seien „ohne Zweifel moderne demokratische Inhalte“. Gleichzeitig beschreibt Seufert die Ideologie der PKK als totalitär und autokratisch und stellt sie auf eine Ebene mit dem türkischen Staat, der ebenfalls seine Ideologie verteidigt, nur eben eine faschistische. Seufert schließt aus, dass es sich bei dem KCK-System um eine Demokratie handelt, da sich alle Menschen in Kurdistan dem KCK-Vertrag verpflichten müssten und es keine legitime Möglichkeit gäbe, sich zu distanzieren.
Darin zeigt sich vor allem die eurozentristische Sichtweise Seuferts, die das europäische Staaten- und Demokratieverständnis zur unhinterfragten Norm macht. Seufert definiert Demokratie als individuelle Selbstverwirklichung und setzt so den insbesondere in Westeuropa vorherrschende Individualismus als Ideal voraus. Doch was ist Demokratie? Die Selbstverwaltung des Volkes, wie es in Nord- und Ostsyrien basierend auf Frauenbefreiung und Ökologie gelebt wird, zeigt eine Alternative zu dem auch von Seufert reproduzierten kapitalistischen System auf.
„Es ist genau dieselbe Logik wie in der Türkei“
„Besonders absurd wird es, wenn wir uns bewusst machen, dass wir uns gerade in einem Gerichtsprozess befinden. Ich bin seit Anfang an bei den Prozesstagen dabei und Mehmet Çakas hat nie etwas an sich Illegales gemacht. Ihm wird zum Beispiel vorgeworfen, Kundgebungen angemeldet zu haben, was nach geltenden Gesetzen hier total legal ist. Er ist angeklagt, weil er politisch aktiver Kurde ist. Es ist genau dieselbe Logik wie in der Türkei. Und hier im Gericht reden sie so, als ob es nur um einen Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat geht", erklärte eine Prozessbegleiterin.
„Mit dem Terror-Stigma sollen die kurdischen Errungenschaften zerstört werden“
„Wir haben es hier mit einer Subjekt-Objekt-Trennung zu tun. Die kurdische Frage ist vor hundert Jahren mit dem Vertrag von Lausanne in Europa hervorgebracht worden und wird jetzt auf einen Türken-Kurden-Konflikt reduziert. Dabei wird die aktive Rolle der europäischen Staaten und insbesondere Deutschlands ausgeblendet. Mehmet wird keine individuelle Straftat zur Last gelegt. Es wird an der kurdischen Gesellschaft und ihrem legitimen Widerstand vorbei diskutiert und juristisch das politische Interesse der BRD durchgesetzt", sagte eine andere Prozessbeobachterin. „Wir können keinen nennenswerten Unterschied zwischen der Verfolgung in der Türkei und Deutschland erkennen. Mit dem Terror-Stigma sollen alle Errungenschaften des kurdischen Freiheitskampfes kriminalisiert und zerstört werden."
Friedensaufruf von Abdullah Öcalan als Beweismittel abgelehnt
Das Gericht hat an dem Prozesstag mehrere Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt. Die Verteidiger wollten der Verhandlung, in der sich das Gericht stundenlang Guerillaaktionen anschaute, Bilder entgegensetzen. Es sollten Videos gezeigt werden von der Newroz-Feier 2013, bei der eine Botschaft von Abdullah Öcalan vorgelesen wurde, in der der PKK-Begründer den Übergang vom bewaffneten Kampf in eine Phase der demokratischen Politik ankündigte. Es sollte auch gezeigt werden, wie gewalttätig das türkische Militär gegen die Bevölkerung vorgeht. Das Gericht lehnte diese Beweisanträge mit einem Sammelsurium von Begründungen ab. Den Verteidigern wurde unter anderem unterstellt, die Videos könnten ganz andere Zeiten und Orte zeigen als angegeben. Diese Spitze des Gerichts wollen sich die beiden Verteidiger nicht gefallen lassen und bei den nächsten Prozesstagen den Beweisantrag erneut stellen. Die nächste Verhandlung ist am 16. Januar um 10 Uhr, der Termin am 17. Januar wurde aufgehoben.
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