Lesbos: „Selbst Babys unter den Tränengasopfern“
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet über das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Schutzsuchende aus dem abgebrannten Lager Moria auf der Ägäisinsel Lesbos.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet über das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Schutzsuchende aus dem abgebrannten Lager Moria auf der Ägäisinsel Lesbos.
Die NGO „Ärzte ohne Grenzen“ erhebt in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst schwere Vorwürfe gegen die griechischen Behörden. Nach Angaben der Migrationsexpertin der Organisation, Marie von Manteuffel, werden Helfer*innen an ihrer Arbeit gehindert und Menschen durch Tränengaseinsätze und mangelnde Versorgung gesundheitlich geschädigt.
Sie berichtet von einem Neugeborenen, das aufgrund des Tränengaseinsatzes ins Krankenhaus gebracht werden musste: „Das kleine Menschlein hatte von seinen zehn Tagen fünf auf der Straße verbracht, Tränengas eingeatmet und sich dann nachts übergeben, was ja in dem Alter fatal sein kann.“
Entbindungen im Krankenhaus „kaum möglich“
Schwangere lagen Manteuffel zufolge am Straßenrand in ihren Wehen und es war für die NGO gerade noch möglich, Krankenwagen zu organisieren. Sie sagt: „Mit dem ganzen Chaos, den Blockaden und Zugangsbeschränkungen ist ein solcher ganz normaler Vorgang kaum möglich. Es ist ein Wahnsinn, dass so etwas auf europäischem Boden per Zufall, per Glück passieren muss.“
Durchfallerkrankungen grassieren
Manteuffel berichtet, die mangelnde Wasserversorgung der obdachlosen Schutzsuchenden habe dazu geführt, dass die Menschen angefangen haben, Wasser aus Abwasserleitungen zu nutzen. Deshalb grassierten Durchfallerkrankungen: „Wir haben es nicht selbst gesehen, aber es scheint so, als hätten die Menschen dieser Tage angefangen, Wasser aus den Abwasserleitungen zu nutzen, weil so wenig sauberes Trinkwasser zur Verfügung steht.“
Hilfsorganisationen werden behindert
Gleichzeitig werden Hilfsorganisationen daran gehindert, ihre Einrichtungen zu betreiben und Patient*innen werden daran gehindert, diese aufzusuchen: „Unsere Klinik in der Hauptstadt Mytilini, die auf Folter und sexualisierte Gewalt spezialisiert ist, können wir im Moment quasi nicht betreiben, weil die Menschen nicht nach Mytilini reingefahren werden dürfen.“ Die Überlebenden solcher Verbrechen leben im Moment auf der Straße. Manteuffel beschreibt: „Wir müssen sie suchen und schauen, dass sie nicht völlig zusammenbrechen.“
Lager in Kara Tepe macht den Menschen Angst
Weiterhin befinden sich nach dem Brand in Moria Tausende, unter ihnen auch mehrere tausend Kinder und Jugendliche, auf der Straße. Sie haben Angst, in das Massenlager Kara Tepe zu gehen. Manteuffel sagt: „Sie haben Angst, dass sie dort nicht mehr rauskommen, dass sie ihre Handys abgeben müssen und das bisschen Kontrolle über ihr eigenes Dasein verlieren.“ In dem Lager sind die Schutzsuchenden interniert und in Massenzelten untergebracht, was ein Grassieren von Krankheiten wie Corona nur noch befördert.