Leipzig: Rojava-Solidarität vs. Weihnachtsmarkt-Idylle

In Leipzig gingen gestern hunderte Menschen unter dem Motto „Ne Hêle“ gegen den türkischen Angriffskrieg, die aktuell in Syrien vorherrschende Unmenschlichkeit und für die Solidarität mit den kurdischen Kämpfer*innen in Rojava auf die Straße.

„Das erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit.“ – Dieser Diagnose wollten sich am Samstag hunderte Aktivistinnen und Aktivisten aus ganz Sachsen nicht geschlagen geben. Sie lassen nicht zu, dass die unfassbaren Menschenrechtsverletzungen im Krieg gegen die Kurd*innen verschwiegen werden. Sie lassen nicht zu, dass Islamisten wieder auf freien Fuß gelangen und die Welt bedrohen. Und sie lassen nicht zu, dass die Verstrickungen der deutschen und europäischen Politik mit der Türkei und ihren Waffendeals einfach so hingenommen werden. „Ne Hêle – Lass nicht zu!“, lautete das Motto des internationales Aktionstages – und der Leipziger Demonstration.

Dieser Losung folgend zogen die Aktivist*innen trotz Eiseskälte und Regen durch die Stadt. Am Nachmittag versammelten sie sich zunächst im Leipziger Osten, um vor Ort die ersten Redebeiträge zu hören. Einen besonders emotionalen Charakter erhielt die Auftaktkundgebung, als Freund*innen des gefallenen Revolutionärs Michael Panser ihre Erinnerungen teilten: Der internationalistische Guerillakämpfer, bekannt auch als Bager Nûjiyan und Xelîl Vîyan, starb am 14. Dezember 2018 – also genau ein Jahr zuvor – bei einem türkischen Luftangriff auf Südkurdistan. In würdevollem Gedenken an ihn, aber auch alle anderen, die im Kampf für die Freiheit und die Revolution ihr Leben gelassen haben, verlasen sie ein Gedicht. Anschließend wurde den Gefallenen bei einer Schweigeminute gedacht und gezeigt, dass sie unsterblich sind - Şehîd Namirin!

Foto: Simon Berger

Der Demonstrationszug setzte sich kurz darauf entschlossen und lautstark in Bewegung. Zunächst liefen die Menschen die schmale Konradstraße entlang und kamen bei der Eyüp-Moschee vorbei – jenem Verein, der Informationen über Kurd*innen in Deutschland an den türkischen Geheimdienst weitergibt und regelmäßig „Gebete“ für IS-Terroristen und türkische Militärs abhält. Nach einem kurzen Stopp und gutem Blick auf den Eingangsbereich zogen die Protestierenden weiter. Dabei wurden sie von umstehenden Passant*innen provoziert und beleidigt – wahlweise als „Drecks-Pack“ und „Scheiß-Türken“. Welch traurige Ironie, dass zeitgleich eine Anwohnerin den Gruß der faschistischen „Grauen Wölfe“ aus ihrem Fenster zeigte.

Von diesen Widrigkeiten ließen sich die Demonstrant*innen nicht beirren und zogen die belebte Eisenbahnstraße hinunter, auf der die lauten Sprechchöre gut zu hören waren: „Alle zusammen gegen den Faschismus“ wurde daraufhin in die Tat umgesetzt, als sich solidarische Menschen spontan der Demonstration anschlossen und dafür kurzerhand ihre Kinder auf die Schultern nahmen.

Kurz bevor der Demonstrationszug den viel befahrenen Innenstadtring erreichte, kamen ihm dutzende Feministinnen mit Transparent, Fahnen und lauten Chören entgegen. Eine zuvor am Bundesverwaltungsgericht umgesetzte Performance von Feministinnen aus Deutschland und Chile behandelte die sexistischen, patriarchalen und mörderischen Zustände, denen Frauen weltweit ausgesetzt sind – Zustände, in denen Staat und Justiz ein wesentliches Problem sind. In Solidarität mit den feministischen Idealen und den Kämpferinnen der YPJ schlossen sich die Aktionskünstlerinnen der Demo an und wurden herzlich willkommen geheißen.

Foto: Simon Berger

Die kalten Temperaturen, eisiger Wind und gelegentliche Schauer zeigten aber auch: Es ist Winterzeit, und die gemütliche, deutsche Advents-Idylle samt popkulturellem Weihnachts-Kommerz sind fester Bestandteil des Dezembers. Umso schöner, dass pünktlich zur Dämmerung die Versammlung am zentralen Augustusplatz Halt machte und mit Blick auf den gut besuchten Weihnachtsmarkt in Hörweite wichtige Redebeiträge verlesen wurden: Die Fridays-For-Future-Gruppe aus Chemnitz wies in einem überzeugend und kämpferisch vorgetragenen Redebeitrag auf die ökologische Katastrophe in Rojava und weltweit hin – mit der wichtigen Aufforderung, dies nicht einfach so geschehen zu lassen. Außerdem bekamen die Innenstadt-Konsument*innen noch wichtige Beiträge der YXK und von Women Defend Rojava zu hören.

Anschließend liefen die Demonstrant*innen weiter über den Ring bis zum Wilhelm-Leuschner-Platz, auf dem die Abschlusskundgebung gehalten wurde. Hier wurden die wichtigen Säulen der kurdischen Revolution – unter anderem Ökologie, Feminismus und Sozialismus – zum Anlass der Reden genommen. Auch hier blieben zahlreiche Passant*innen im Meer der YPJ-Fahnen und Solidaritäts-Transparenten stehen und lauschten den Beiträgen.

Insgesamt blickt das Leipziger „Rojava Soli-Bündnis“ auf eine ausdrucksstarke Demo zurück und dankt allen kämpferischen Internationalist*innen aus ganz Sachsen, die für eine gelungene Irritation der zynischen Weihnachts-Euphorie gesorgt haben.

Fotos: Simon Berger