Orte schaffen, an denen Utopien gedacht werden
Die Konferenz zu Vergesellschaftung am letzten Wochenende in Nürnberg war laut dem Organisationsteam ein voller Erfolg. Die Interventionistische Linke, Ende Gelände, Attac und Politbande haben zusammen mit etlichen lokalen Projektpartner:innen einen Austausch von weit über 200 Teilnehmenden aus ganz Deutschland ermöglicht, bei dem es um Information und Diskussion über Wege in eine solidarische Gesellschaft ging.
Im Einführungsvortrag erläuterte die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Sabine Nuss, warum die Forderung nach Vergesellschaftung eine Antwort auf die sozialökologische Frage unserer Zeit ist. Wenn immer mehr Menschen die Zumutungen des Kapitalismus spüren, müsse darüber geredet werden, wie die Ungleichverteilung von Eigentum und Macht überwunden werden kann für ein gutes Leben für alle.
Wohlstand / „Luxus“ für alle statt privatem Überfluss
Vincent Janz, Mitgründer des Berliner Thinktanks „communia - Strategien für eine demokratische Wirtschaft“, führte in seinem anregenden Referat aus, wie die Überführung privater Konzerne in demokratisch organisiertes und am Gemeinwohl ausgerichtetem Kollektiveigentum gelingen kann. Wohlstand / „Luxus“ für alle statt privatem Überfluss seien die Antworten auf Ungleichheit, Klimakrise und Demokratie-Verdruss. Mit der Forderung „Vergesellschaftung gegen die Ohnmacht“ zeichnete Janz einen Weg aus der sich ausbreitenden Hoffnungslosigkeit.
Juristischer Rahmen der Debatte um Vergesellschaftung
Georg Freiß, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Regensburg, schließlich umriss den juristischen Rahmen der Debatte um Vergesellschaftung, nachzulesen auch im Verfassungsblog. Er ging auf die Entstehungsgeschichte des Artikel 15 im Grundgesetz ein: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Dabei stellte er klar, dass die Ausgestaltung dieses Paragraphen immer von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen abhängt, denn im Grundgesetz sei keine bestimmte Wirtschaftsordnung festgelegt. Lange Jahre schlummerte der Art. 15 GG, und erst der erfolgreiche Volksentscheid der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ habe die Diskussion um Vergesellschaftung auch unter Jurist:innen neu entfacht.
Workshops zu speziellen Themen
Den drei Vorträgen folgten eine Reihe von Workshops zu speziellen Themen wie feministische Ökonomie, Vergesellschaftung im Energiesektor und der Gesundheitsversorgung, ökologische Kapitalismuskritik und Neoliberalismus. Auch einzelne Projekte wurden vorgestellt, wie zum Beispiel das Ackersyndikat, das Höfe und Äcker dem Kapitalmarkt entziehen will, ähnlich wie Mietshäusersyndikat im Bereich der Immobilienwirtschaft. Interessent:innen konnten so einen Eindruck gewinnen, in wie vielen Bereichen Vergesellschaftung schon angedacht oder praktisch umgesetzt wird.
Orte schaffen, an denen Utopien gedacht werden
Zum Abschluss der Konferenz wurde auf einer moderierten Podiumsdiskussion gefragt: enteignen, vergesellschaften oder besetzen? Vertreter:innen der Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“, von Nürnberger Projekten des Mietshäusersyndikats und aus der Hausbesatzerszene sprachen über praktische Perspektiven, Finanzierung, Lobbyarbeit, Synergien und strategische Verbindungen der einzelnen Bewegungen, Repression, Motivation und wie es gelingt, in den politischen Diskurs zu intervenieren. Wichtig dabei sei es, Orte zu schaffen, an denen Utopien gedacht werden und wo man Kraft schöpfen kann. Auf eine Frage aus dem Publikum, woher die Aktivist:innen den Mut für ihre Kämpfe nehmen, war die Antwort: „Wir haben die Gewissheit, dass wir Teil von etwas Größerem sind, dass wir nicht alleine sind.“