EGMR-Urteil zu Abdullah Öcalan
Mehr als 1.500 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus 35 Ländern haben das türkische Justizministerium aufgefordert, die Isolation von Abdullah Öcalan und seinen drei Mitgefangenen auf der Gefängnisinsel Imrali zu beenden und internationale Rechtsstandards einzuhalten. Die am Montag in Brüssel vorgestellte Initiative wird von der DEM-Partei unterstützt. Die stellvertretende DEM-Fraktionsvorsitzende Gülistan Kılıç Koçyiğit wandte sich heute auf einer Pressekonferenz im Parlament in Ankara an die Erdogan-Regierung und sagte: „Egal, wie sehr Sie den Kopf in den Sand stecken, die ganze Welt spricht über die Isolation auf Imrali.“
Türkei setzt EGMR-Urteil nicht um
Koçyiğit wies darauf hin, dass sich das Ministerkomitee des Europarats in einer Sitzung vom 17. bis 19. September mit der Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) befassen wird. Der Gerichtshof hatte bereits 2014 festgestellt, dass die Türkei mit der Verhängung einer nicht reduzierbaren lebenslangen Freiheitsstrafe gegen Abdullah Öcalan und weitere Gefangene gegen das Verbot einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung und damit gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat. Öcalan, der 1978 die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gründete, war im Juni 1999, nur vier Monate nach seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung aus Kenia in die Türkei, wegen „Hochverrats“ zum Tode verurteilt worden. Da die Türkei 2002 die Todesstrafe abgeschafft hat, muss Öcalan nun eine verschärfte lebenslange Freiheitsstrafe absitzen, ohne jegliche Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Laut dem EGMR müssen lebenslänglich Verurteilte aber zumindest Aussicht auf eine vorzeitige Haftentlassung haben, das sogenannte „Recht auf Hoffnung“.
1500 Anwält:innen wollen Öcalan besuchen
Die DEM-Vizefraktionsvorsitzende Koçyiğit sagte, dass die Türkei das Urteil systematisch nicht einhält und seit zehn Jahren keinen einzigen Schritt für die Umsetzung der verpflichtenden Rechtsprechung unternommen hat. „Über 1500 Anwältinnen und Anwälte haben jetzt erneut gefordert, dass das Besuchsrecht von Öcalan gewährleistet wird. Sie haben dem Justizministerium mitgeteilt, dass sie Imrali besuchen wollen. Egal, wie sehr man den Kopf in den Sand steckt, egal, wie sehr man die öffentliche Meinung in der Türkei gewaltsam unterdrückt, die Isolation auf Imrali ist eine Realität und die ganze Welt spricht darüber“, so die Politikerin.
Lösung statt Isolation
Die Aufhebung der Isolation von Abdullah sei für eine demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage von entscheidender Bedeutung, betonte Gülistan Kılıç Koçyiğit: „Die Isolation beseitigt die Möglichkeiten und Bedingungen für eine Lösung. Und es liegt im gemeinsamen Interesse der Völker dieses Landes, den Lösungsgedanken statt der Isolation zu fördern. Wir fragen die Regierung: Was wollen Sie mit dem Beharren auf der Imrali-Isolation erreichen? Was haben Sie mit der Isolation seit 2015 gelöst und was wollen Sie von nun an lösen? Kehren Sie so schnell wie möglich von diesem Fehler ab, heben Sie die Isolation auf und öffnen Sie die Türen für einen Dialog. Lassen Sie uns gemeinsam mit den Völkern der Türkei an einer Lösung arbeiten. Als DEM-Partei sind wir dafür. Wenn dieses Land eine Normalisierung in allen Bereichen erfahren und es einen Ausweg aus den Krisen geben soll, dann muss die Isolation auf Imrali durchbrochen und aufgehoben werden.“
Europa muss handeln
An den Europarat appellierte Koçyiğit: „Ist es nicht an der Zeit, allgemeine Maßnahmen gegen die türkische Regierung zu ergreifen, die es versäumt hat, die Gesetzgebung in Bezug auf schwere lebenslange Haftstrafen zu ändern? Die EMRK ist seit Jahrzehnten außer Kraft gesetzt. Müssen Sie in dieser Hinsicht nicht konkrete Schritte unternehmen? Wie lange werden Sie die Situation ignorieren, wie lange werden Sie schweigen, wie lange werden Sie das Komplott fortsetzen? Das fragen wir Sie. Wir fordern Sie auf, sich an die Regeln zu halten, die Sie für die Welt im Einklang mit dem universellen Recht und Ihrem eigenen Recht aufgestellt haben. Lassen Sie nicht zu, dass die politischen Interessen der Staaten dem gemeinsamen Kampf des kurdischen Volkes und der Völker der Türkei, die seit Jahrzehnten unter Verfolgung und Assimilation leiden und sich dagegen wehren, und den Erwartungen auf eine friedliche Lösung der kurdischen Frage im Wege stehen.“