Kobanê-Prozess: Befangenheitsantrag abgelehnt

In Ankara ist der „Kobanê-Prozess“ gegen den ehemaligen HDP-Vorstand mit der Begründung des von den Angeklagten gestellten Befangenheitsantrags fortgesetzt worden. Der Antrag wurde abgelehnt, die Verhandlung auf Mitte Juni vertagt.

In Ankara ist der „Kobanê-Prozess“ gegen 108 Angeklagte, darunter führende Politikerinnen und Politiker der HDP, fortgesetzt worden. Die Verhandlung im Gerichtssaal auf dem Gelände des Gefängniskomplexes Sincan wurde von HDP-Abgeordneten, der Türkei-Delegation der EU und diplomatischen Vertreter:innen aus EU-Ländern beobachtet.

Am heutigen Verhandlungstag begründeten die Verteidiger:innen die von den Angeklagten zu Prozessbeginn gestellten Befangenheitsanträge gegen die Richter. Rechtsanwältin Cemile Turhallı Balsak forderte das Gericht auf, das Verfahren abzugeben. Sie verwies auf die Verfahrensfehler zu Prozessauftakt und auf das Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Unrechtmäßigkeit der Inhaftierung des ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş. „Dieses Urteil ist gesprochen worden, damit Sie es umsetzen“, erklärte Balsak an die Richter gewandt. „Dieses Urteil betrifft diesen Prozess direkt, es betrifft alle der 28 inhaftierten Angeklagten.“

Rechtsanwältin Nuray Özdoğan bemängelte, dass in dem Verfahren Zeugen in Abwesenheit der Verteidigung angehört worden sind. Sie stellte ebenfalls einen Befangenheitsantrag und erklärte, dass das Gerichtsprotokoll eines Tages als Beweismittel in einem Prozess gegen die Richter eingebracht werde.

Ihre Kollegin Ruken Gülağacı, die die ehemalige HDP-Vorsitzende Figen Yüksekdağ verteidigt, kritisierte die Sitzordnung im Gerichtssaal: „Neben uns sitzen bewaffnete Bereitschaftspolizisten mit den Nebenklägern, und wir können mit unseren Mandanten nicht sprechen, weil dazwischen Militärpolizisten sind.“ Am Vortag hätten zudem einige der Angeklagten Erklärungen auf Kurdisch abgegeben, die nicht übersetzt wurden: „Viele hier haben das nicht verstanden und ich nehme an, dass sie auch kein Kurdisch sprechen und nichts verstanden haben. Wir sehen darin einen Panikzustand, denn hier sind Politikerinnen und Politiker angeklagt.“

Hadi Cin, der Demirtaş und alle weiteren inhaftierten Angeklagten verteidigt, warf dem Gericht vor, im Auftrag von Innenminister Süleyman Soylu zu handeln: „Soylu hat eine Straftat begangen, indem er versucht hat, den Prozess zu beeinflussen. Er hat Ihnen öffentlich einen Befehl erteilt. Das ist vor allem Ihnen gegenüber eine Straftat. Wenn Sie keine Angst hätten, würden Sie Strafanzeige stellen.“

Weil ANF in der Türkei blockiert ist“

Der Verteidiger des inhaftierten HDP-Politkers Ali Ürküt, Rechtsanwalt Erhan Ürküt, nahm über eine Videoschaltung aus Amed an der Verhandlung teil. Er stellte fest, dass das Gericht offenbar „allergisch gegen EGMR-Urteile“ sei, und sagte: „Die in der Anklageschrift als Beweismittel benannten ANF-Meldungen können wir über Google nicht finden, weil ANF in der Türkei blockiert ist.“

Rechtsanwalt Mustafa Kemal Baran sagte, dass seiner Mandantin, der HDP-Politikerin Meryem Adibelli, ein Großteil der Anklageschrift nicht zugänglich gemacht worden sind. Cahit Kırkazak, der die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş verteidigt, führte aus, dass der EGMR eindeutig den politischen Charakter des Prozesses festgestellt hat. Zu den in allen politischen Prozessen in der Türkei auftretenden „geheimen Zeugen“ sagte der Anwalt: „Wir haben schon Zeugen erlebt, die waren so geheim, dass es sie in Wirklichkeit gar nicht gab.“

Die aus Hunderten Anwält:innen bestehende Verteidigung führte im Verlauf der Verhandlung zahlreiche weitere Begründungen für die Befangenheit des Gerichts auf. Der Antrag wurde erwartungsgemäß als unbegründet abgelehnt und die Verhandlung auf den 14. Juni vertagt.