Karayılan: Kraft der Kurden in Istanbul entscheidend

Murat Karayılan bekräftigt seine Überzeugung, dass die demokratischen Kräfte in Istanbul der AKP-MHP am Sonntag eine weitere Niederlage beibringen werden.

Murat Karayılan, Oberkommandierender des zentralen Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte (HPG), hat sich gegenüber ANF zu den Neuwahlen in Istanbul geäußert und seine Überzeugung bekräftigt, dass die demokratischen Kräfte der AKP-MHP am Sonntag eine weitere Niederlage beibringen werden.

Am 23. Juni werden die Wahlen in Istanbul wiederholt, was sollte Ihrer Meinung nach die Haltung der kurdischen Wähler*innen sein?

Die Wahlen in Istanbul sind de facto zu einem Referendum geworden. Ohne Zweifel wird das kurdische Volk, seine Freund*innen und die demokratischen Kräfte die Wahlen in diesem Sinne betrachten. Wir brauchen zu dem Thema also keinen eigenen Aufruf machen. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) und die anderen demokratischen Kräfte sowie die zivilgesellschaftlichen Organisationen, haben ihre Entscheidungen in dieser Hinsicht getroffen. Gegen den Faschismus werden sie eine demokratische Wahl treffen. Das haben sie mit der Parole „Lasst uns den Faschismus zerschlagen und die Türkei demokratisieren“ ohnehin schon klargestellt. Das ist unserer Meinung nach die richtige Strategie. Die AKP-MHP-Allianz und das Ergenekon-Regime stellen eine Gefahr für die Türkei dar. Bei den Wahlen am 31. März wurde deutlich gezeigt, dass die Kurd*innen und ihre Freund*innen die Kraft haben, diese Gefahr zu neutralisieren. Die massive Kraft der Kurd*innen ist auch in Istanbul entscheidend. Diese Tatsache wird alle Kurd*innen mit stolz erfüllen.

Wir sind im Zeitalter der Befreiung und des Aufstiegs des kurdischen Volkes. Diese Tatsache mögen die MHP und die anderen vom Gift des Nationalismus erblindeten Faschisten nicht sehen, aber sie werden gezwungen sein, dies zu akzeptieren. „Ihr konntet die Kurd*innen nicht einschüchtern! Ihr konntet die Kurd*innen nicht auslöschen. Das kurdische Volk ist eine Realität, so wie es am Himmel die Sonne und den Mond gibt, gibt es die Kurd*innen als eine Nationalität. Sie sind nicht Eure Sklaven. Wenn ihr zusammen leben wollt, dann müsst ihr ein gleichberechtigtes und freies Laben akzeptieren. Es gibt keinen anderen Weg!“

Wie bewerten Sie den „Sinneswandel“ von Personen wie Binali Yıldırım, der vor den Wahlen am 31. März Menschen, die das Wort „Kurdistan“ benutzen, aufforderte, „abzuhauen“ und der nun selbst von „Kurdistan“ spricht?

Binali Yıldırım kam nach Amed (Diyarbakir) und hat von Kurdistan gesprochen, er hat auch ein paar Wörter auf Kurdisch gesagt. Erst versucht er, alles kurdische radikal zu vernichten und jetzt spricht er von Kurdistan. Der gleiche Binali Yıldırım hat im Jahr 2016 die Massaker an der kurdischen Bevölkerung bei einem Besuch in Çelê (Çukurca) als „Freiheitskrieg“ bezeichnet. Er war einer derjenigen, die das Massaker an den Kurd*innen vorantrieben. So hat er sich bei dem Fernsehduell mit Imamoğlu selbst entblößt. Er sagte: „Ich war damals Ministerpräsident, wir haben Efrîn besetzt und wir haben 500.000 Flüchtlinge dorthin gebracht und dort angesiedelt.“ Er sagt also, schaut wie wir ethnische Säuberungen begangen haben. Er gibt das ganz offen zu und fügte dem noch hinzu: „Nun werden wir im Osten des Euphrat einen fünfzig Kilometer breiten und 750 Kilometer langen Streifen säubern und die übrigen Flüchtlinge in der Türkei dort ansiedeln.“ Er sagt also: „Wir werden es mit Kobanê und Qamişlo genauso wie mit Efrîn machen.“

Wie sollen Kurd*innen denn so jemandem die Stimme geben?

Die Kurd*innen, die das wollen, sollen Binali Yıldırım ihre Stimme geben. Aber welcher Kurde oder welche Kurdin, der oder die noch Würde besitzt, kann so etwas wollen? Mein Aufruf richtet sich hier insbesondere an die werten religiösen, gläubigen und muslimischen Kurd*innen. Vielleicht standet ihr bisher an der Seite der AKP und habt ihr sogar eure Stimme gegeben. Ihr könnt vielleicht nicht die CHP oder die HDP unterstützen. Aber hier geht es um etwas anderes. Das hat Binali Yıldırım zuletzt offen zugegeben. Er wollte sich selbst loben, aber hat so sein Verbrechen eingestanden. Wenn jemand will, dass es in Kobanê zu einem ähnlichen Massenmord wie in Efrîn kommt, dann kann er Binali Yıldırım seine Stimme geben. Wenn ihr dies mit eurem Gewissen nicht vereinbaren könnt, dann solltet ihr ihm die Stimme verweigern. Denn es handelt sich um eine Sünde. Ihnen eine Stimme zu geben bedeutet, Komplize bei diesen Massakern zu sein. Insbesondere auch die gottesfürchtigen Menschen, die in Istanbul leben, sollten diesen Tyrannen keine Stimme geben. Ihnen muss eine Lehre durch eine weitere Niederlage in Istanbul erteilt werden. Alle Kurd*innen und alle demokratischen Kräfte aus Türkei werden ihrem Gewissen folgen und der AKP-MHP eine erneute Niederlage erteilen. Davon bin ich überzeugt.

Wie wird die Kampagne „Isolation aufheben, Faschismus zerschlagen, Kurdistan befreien und die Türkei demokratisieren“ weitergehen?

Die Kampagne muss im gesellschaftlichen Bereich wie auch im Widerstand der Guerilla fortgesetzt werden. Alle Menschen aus Kurdistan und insbesondere die jungen Menschen müssen ihre Verantwortung in dieser historischen Phase wahrnehmen. Es ist sehr wichtig, sich verantwortungsbewusst zu verhalten. Unsere geliebten Mütter, die ihre Verantwortung übernahmen und trotz Knüppeln und Schlägen Widerstand geleistet haben, gaben eine Botschaft an die Jugend. Wir müssen zu noch stärkerer Teilnahme am Kampf um eine freie Führung und ein freies Kurdistan sorgen. Wir wissen, dass uns als Guerilla dabei eine wichtige Aufgabe zukommt. Das wichtigste ist, dass sich jeder in dieser historischen Phase verantwortungsvoll verhält und seine Aufgaben erfüllt.