Der 19. Juli gilt als Jahrestag der Revolution von Rojava. Die Internationalistische Kommune von Rojava ruft anlässlich des achten Jahrestags zu globalen Aktionstagen „gegen Kolonialismus, Faschismus, das Patriarchat und Femizide, ökologische Zerstörung und alle Formen der Unterdrückung in der ganzen Welt” auf. Die Studierendenverbände JXK und YXK haben in diesem Zusammenhang einen eigenen Aufruf zur Teilnahme an Demonstrationen in Bielefeld und Berlin veröffentlicht:
Seit dem 15. Juni hat die türkische Regierung ihren Besatzungsfeldzug in Südkurdistan mit einer Luft-Land-Offensive intensiviert und führt seitdem täglich schwere Angriffe auf die Befreiungsbewegung sowie die Zivilbevölkerung aus. Nach der Invasion von Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî in Rojava, der vor allem die selbstverwalteten Gebiete und damit die von der kurdischen Befreiungsbewegung aufgebaute gesellschaftliche Alternative vernichten sollte, richten sich die Attacken nun gegen das ideologische Zentrum der Bewegung, sozusagen den Kopf und das Herz. Als ideologische Hauptlinie der Bewegung gerät besonders die Frauenbefreiung in das Visier der Angreifer, wie wir an dem Massaker in Kobanê feststellen müssen. Die Zivilgesellschaft, welche durch ihre demokratische Organisierung und ihren Protest jedem Angriff etwas entgegensetzten, wird dabei nicht zufällig, sondern gezielt ebenfalls Opfer der Angriffe.
Gleichzeitig findet von Seiten der Guerilla und bewaffneter Gruppen in den türkischen Metropolen ein antifaschistischer Widerstandskampf statt, welcher der NATO-Kriegstechnologie des türkischen Militärs gezielte und empfindliche Schläge versetzt. Die Erfahrungen aus 40 Jahren Guerillakampf, den Städtekriegen in Amed und Cizîr und der YDG-H-Zeit konnten zu einer koordinierten Kraft umgewandelt werden. Der türkische Faschismus weiß jedoch selbst sehr gut, dass er allein auf militärischer Ebene nicht siegen kann. Deswegen ist seine Strategie breiter angelegt und zielt vor allem auf Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und Führungspersönlichkeiten der kurdischen Bewegung ab.
Neben den unaufhörlichen Verhaftungen von HDP-Abgeordneten und Ermordung von Zivilist*innen in allen Teilen Kurdistans wird diese Taktik auch auf Europa ausgedehnt: Die Razzia gegen den Ko-Vorsitzenden des Mannheimer Volksrates sowie das Auslieferungsverfahren gegen PKK-Kader aus der Schweiz nach Deutschland sind ein klarer Teil dieser Strategie. Aber so wie die militärischen Angriffe in Südkurdistan bleiben auch die Angriffe in Europa nicht auf die Strukturen der Befreiungsbewegung beschränkt. Die Angriffe auf den alevitischen Friedhof in Ludwigshafen sowie auf einen linken Verein in Wien durch Graue Wölfe sind ebenfalls in diesem Kontext zu sehen: Jegliche Identität und Bewegung, die die faschistische Einheit des türkischen Nationalismus gefährdet und für Vielfalt und Demokratie steht, soll verstummen und in Angst erstickt werden.
Neben den Angriffen auf die Gesellschaft ist die Auslöschung führender Widerstandskämpfer*innen ein zentrales Standbein des Faschismus. Die Angriffe, die derzeit auf ideologische Führungskader und Aktivist*innen der Befreiungsbewegung stattfinden, sind von der Zeit der Putsche 1970 und 1980, den Morden an Deniz Gezmiş, Ibrahim Kaypakayya, Mahir Çayan und Haki Karer in den 1970er Jahren und den Angriffen in Amed gegen Mitglieder des PKK-Zentralkomitees kaum zu unterscheiden.
Die Black Panther Party und damit breite Teile der revolutionären Bewegung in den USA der 1980er wurde ebenfalls durch gezielte Ermordung von Revolutionären wie Huey Newton vernichtet, das gleiche gilt für kämpfende Bewegung in Europa. Die Befreiungsbewegung Kurdistans, deren Organisierung und Partei-Werdung vor allem als Reaktion der Selbstverteidigung auf eben diese faschistischen Angriffe entstanden ist, war in der Lage ihnen Widerstand entgegenzusetzen und hat seitdem eine Gesellschaft geschaffen, die für eine Demokratisierung Kurdistans und des gesamten Mittleren Ostens kämpft und eine konkrete Alternative aufbaut. Damit stellt sie auf globaler Ebene eines der größten Hindernisse gegen eine Durchsetzung faschistischer Herrschaft statt. Was den Hegemonialmächten damals nicht gelungen ist, soll jetzt versucht werden umzusetzen.
Um jedoch die Dimension dieser Angriffe richtig zu verstehen, müssen wir sie vor allem historisch und politisch richtig einordnen. Das imperiale System, dessen Zentren vor allem die USA und Europa sind und dessen Satellit im Mittleren Osten die Türkei ist, erlebt derzeit eine Krise, die ihre Hegemonie in der Welt und damit auch den reibungslosen Ablauf der Kapital-Wirtschaft ernsthaft gefährdet. Das Zunehmen des chinesischen Imperialismus und die „versteckte“ Wirtschaftskrise als Konsequenz der Corona-Krise sind hier nur einige Auslöser. Um sich aus dieser Krise zu befreien, streben die imperialen Staaten eine totale Zugriffsverfügung auf die gesamte Gesellschaft und ihre Werte an. Im Mittleren Osten kommen jedoch vor allem der Zugang zu geopolitischen Positionen und Rohstoffen hinzu. Dies verschafft der Türkei eine zentrale Rolle in diesem Prozess und erklärt das schweigende Hinnehmen oder Unterstützen der faschistischen Aggression. Um diesen uneingeschränkten Zugriff durchsetzen zu können, müssen vor allem die oppositionellen Bewegungen und die Teile der Gesellschaft, die sich wenig mit dem Staat identifizieren, ausgeschaltet werden.
Die ungestrafte Ermordung von Menschen, die ethnischen Minderheiten oder oppositionellen Gruppen angehören, durch staatliche Sicherheitskräfte oder Faschisten ist etwas, was in letzter Zeit Stück für Stück normalisiert wird. Der Mord an George Floyd konnte große Massen mobilisieren, was einen Moment der Hoffnung darstellt. Der Mord an einem psychisch kranken Marokkaner durch die Polizei in Bremen konnte jedoch kaum noch eine Reaktion seitens der Zivilgesellschaft hervorrufen. Und auch, wo spontane Proteste entstehen, führen diese selten zu einem tatsächlichen Aufwachen und einer festen antifaschistischen Organisierung. So hat das Massaker in Hanau zu einigen lokalen Initiativen geführt, welche die Erinnerung und den Protest lebendig halten, der Großteil der Gesellschaft hat diese grausame Tat jedoch längst wieder vergessen und ist in den Normalzustand übergegangen. Gleiches gilt für die Feminizide die in den letzten Monaten zumindest kurz im Blick der Öffentlichkeit waren. Das Gewöhnen der Gesellschaft an Mord und Gewalt stellt eines der Hauptziele des Faschismus dar. Sein Anliegen ist es, die Gesellschaft so lange mit Angriffen zu überziehen, bis der Widerstand ermüdet und eine Normalisierung der Gewalt eintritt. Die Reflexe gegen solche Formen der Gewalt sollen langsam verschwinden. Denn dies ist die Grundlage für einen weitreichenderen Umbau der Gesellschaft nach den Bedürfnissen der krisenhaften Wirtschaft der imperialen Staaten.
Die Angriffe und Besatzungsversuche in Südkurdistan sind also Teil einer globalen Strategie, die Zivilgesellschaft unter zunehmend faschistische Herrschaft zu stellen. Um einen tragfähigen Widerstand dagegen aufbauen zu können, muss dieser sich auch gegen den Faschismus als Ganzes richten. Vor allem der Jugend in der Diaspora kommt dabei die Rolle zu, hier eine Brücke zu sein und eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln. Dies bedeutet vor allem ein gemeinsames Verständnis, eine gemeinsame Diskussion und den Aufbau einer gemeinsamen Selbstverteidigung, auf ideologischer und physischer Ebene. Ob in den USA, Deutschland, Österreich oder Kurdistan, der Kampf gegen einen sich globalisierenden Faschismus muss gemeinsam gedacht werden. Der 19. Juli ist der Tag, an dem unser Kampf in der Tradition von Katalonien, Nicaragua und Rojava auf eine neue Stufe gehoben wird!
Wir rufen alle Jugendlichen und Studierenden dazu auf, am 18. Juli in Bielefeld und am 19. Juli in Berlin gemeinsam auf die Straße zu gehen, den antifaschistischen Widerstand global auszuweiten und das Jahrzehnt des Sieges über den Faschismus einzuleiten! Steht auf für die Revolution!