Jelpke: Mich beeindruckt der Kampf der Kurden

„Vor allem muss es uns gelingen, die Forderung nach einem Ende der Kriminalisierung und einem Ende des PKK-Verbots aus der Linken raus in breitere gesellschaftliche Kreise zu tragen”, sagt das politische Urgestein Ulla Jelpke.

Seit nunmehr 27 Jahren ist die PKK in Deutschland verboten. Am 26. November 1993 verfügte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) das Betätigungsverbot gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê). Für eine ganze Bewegung bedeutet es andauernde und alltägliche Unterdrückung und Kriminalisierung, an der sich bis heute nichts geändert hat. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, engagiert sich seit Jahrzehnten für die Rechte der Kurdinnen und Kurden und ergreift immer wieder Initiativen, die Aufhebung des PKK-Verbots und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste zu erreichen. Jelpke sitzt, mit einer Unterbrechung zwischen 2002 und 2005, seit 1990 im Bundestag. Für die nächste Wahl im September 2021 will sie aber nicht mehr kandidieren. Es sei Zeit, „dass neue Genossinnen und Genossen nachrücken”, erklärte das politische Urgestein zu ihrer Entscheidung. Dîlan Karacadağ von der Tageszeitung Yeni Özgür Politika hat mit Ulla Jeplke gesprochen.

Am 26. November 1993 ist das PKK-Verbot in Deutschland in Kraft getreten. Was hat die Linke bisher unternommen, um eine Aufhebung zu erreichen?

Erst die PDS und später die Partei DIE LINKE haben das PKK-Verbot immer kritisiert und dessen Aufhebung gefordert. Im Bundestag hatten wir in der letzten Legislaturperiode einen Antrag zur Aufhebung dieses Verbots gestellt, der leider aber erwartungsgemäß keine Mehrheit fand, da alle anderen Fraktionen am PKK-Verbot festhalten wollten. Mit parlamentarischen Anfragen fragen wir bei der Bundesregierung regelmäßig den Umgang und die Folgen des Verbots ab. Eine Vielzahl von LINKEN-Mitgliedern einschließlich Abgeordneten hat in den letzten Jahren auch auf Demonstrationen und Kundgebungen, auch als Anmelder oder Rednerinnen, gegen das PKK-Verbot Stellung bezogen. Zudem haben einzelne Abgeordnete sich auch an Aktionen zivilen Ungehorsams beteiligt und demonstrativ verbotene kurdische Fahnen gezeigt.

Die Umsetzung des Verbots erscheint mir konjunkturabhängig zu sein - auch vor dem Hintergrund des Verhältnisses der Bundesregierung zur Türkei. So gab es durchaus Phasen der Lockerung etwa in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, als nach Gewaltverzichterklärungen der PKK wieder kurdische Festivals und Großdemonstrationen in Deutschland erlaubt wurden und statt des Terrorparagraphen 129a StGB nur noch der Paragraph 129 „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung” gegen PKK-Kader zur Anwendung kam. Doch seit mehreren Jahren haben wir es wieder mit einer deutlichen Verschärfung der Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland zu tun. Das begann mit der Einstufung der PKK beziehungsweise ihres Kaders als „terroristische Vereinigung im Ausland” nach Paragraph 129b StGB. Dann folgte die Ausweitung des Symbolsverbots auf nahezu jede Darstellung von Abdullah Öcalan sowie die syrisch-kurdischen Vereinigungen PYD, YPG und YPJ. Diese Ausweitung des Symbolverbots fand vor dem Hintergrund deutsch-türkischer Spannungen statt - Ankara beschuldigte die Bundesregierung, „Terroristen” zu unterstützen, und drohte mit der Aufkündigung des schändlichen Flüchtlingsdeals.

Gehen wir davon aus, das PKK-Verbot würde heute aufgehoben. Wie würde das „Morgen“ aussehen?

Wenn heute das PKK-Verbot aufgehoben würde, dann wäre dies ja eine Reaktion auf einschneidende politische Veränderungen entweder hierzulande oder im Nahen Osten. Denn das hieße entweder, dass hier eine Bundesregierung an der Macht ist, die den Konflikt mit Ankara wagt und nicht mehr Menschenrechte wirtschaftlichen Interessen unterordnet. Oder aber eine solche Verbotsaufhebung wäre eine Reaktion auf eine Friedenslösung in der Türkei und Kurdistan. So oder so geht es also nicht darum, uns das Morgen vorzustellen, sondern das Heute so zu verändern, dass eine Verbotsaufhebung realistisch ist.

Ulla Jelpke und Fraktionskolleg*innen im November 2014 bei einer Plakataktion gegen das PKK-Verbot

Sie und die Linke sehen das Verbot als eine politische Entscheidung. Scheitert es an den deutsch-türkischen Beziehungen, dass es in Deutschland noch nicht zu einem Umdenken im Blick auf die politische Wertung der PKK gekommen ist?

Schon die Verbotsverfügung im Jahr 1993 argumentierte ja wesentlich mit deutschen außenpolitischen Interessen gegenüber der Türkei, die durch die PKK vermeintlich gestört würden. Von daher sind die deutsch-türkischen Beziehungen sicherlich entscheidend für den Fortbestand oder die Aufhebung des Verbots. Das ist allerdings kein Automatismus, sondern liegt natürlich auch in der Willensfreiheit der jeweiligen Bundesregierung begründet. Denkbar wäre ja, dass eine Bundesregierung durch eine Verbotsaufhebung den Druck auf Ankara erhöhen möchte, mit der kurdischen Befreiungsbewegung eine politische Lösung zu finden, was ja auch im Interesse wirtschaftlicher und politischer Stabilität und Demokratie in der Türkei wäre.

Das PKK-Verbot hat allerdings neben der außenpolitischen auch eine innenpolitische Dimension. Es geht den Sicherheitsbehörden darum, generell jede von ihnen nicht kontrollierbare Selbstorganisation von Migranten, insbesondere mit fortschrittlicher Stoßrichtung, ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Allein aufgrund ihrer großen Anhängerschaft und Mobilisierungsfähigkeit wird die kurdische Bewegung von deutschen Sicherheitsbehörden als gefährlich angesehen. So antwortete die Bundesregierung einmal auf eine parlamentarische Anfrage von mir, die Kobanê-Proteste 2014 in Deutschland seien zwar fast alle friedlich verlaufen. Doch genau das wäre der Beleg dafür, dass die PKK diese Proteste kontrolliert habe und deswegen als potentiell gefährlich einzustufen sei.

Kurdische Politiker und Aktivisten, die bereits jahrelang in türkischer Haft saßen, werden auch in Deutschland immer häufiger zu Freiheitsstrafen verurteilt. Ein Ende der Kriminalisierung der Kurden hierzulande scheint nicht in Sicht. Was kann die politische Linke noch tun, um effektiver gegen das Verbot vorzugehen?

Vor allem muss es uns gelingen, die Forderung nach einem Ende der Kriminalisierung und einem Ende des PKK-Verbots aus der Linken heraus in breitere gesellschaftliche Kreise zu tragen. Während des Kampfes der PKK gegen den IS im Jahr 2014 gab es ja bis hinein in die CDU Überlegungen zum Umdenken, die allerdings schnell - vor dem Hintergrund der deutsch-türkischen Beziehungen - wieder zum Schweigen kamen. Ich sag es mal so: wenn die US-Regierung mit den Kurden in Syrien und ihren Verbänden trotz strategisch gänzlich divergierender Interessen und Weltanschauungen taktisch im Kampf gegen den IS zusammenarbeiten können, dann sollte es auch für Sozialdemokraten, Liberale und Konservative in Deutschland möglich sein, bei aller ihrer Kritik an der PKK die kurdische Freiheitsbewegung zumindest als Dialogpartner in einem demokratischen Prozess zu akzeptieren.

Zu Ihrer Geschichte, Frau Jelpke: Seit wann kennen Sie die Kurden und an welcher Stelle begann Ihr Engagement, für die Rechte der kurdischen Gesellschaft zu kämpfen?

Schon Mitte der 80er Jahre - ich glaube 1986 - war ich das erste Mal auf einer politischen Delegation in der Türkei und habe dort auch Informationen über die Situation der Kurdinnen und Kurden bekommen. Mein eigentliches Engagement begann dann ein paar Jahre später. Anfang der 90er Jahre eskalierte ja der Krieg in Kurdistan immer weiter, in Deutschland folgte das PKK-Verbot. Ich war 1992 und 93 zu Newroz auf Delegation in Kurdistan. Damals wurden wir auf Schritt und Tritt vom türkischen Geheimdienst verfolgt und einmal drei Tage lang in einem Hotel regelrecht gefangen gehalten. Ich habe damals miterlebt, wie die Armee die Newroz-Feiern in Nusaybin mit Panzern angegriffen hat. Diese BTR-Radpanzer waren aus deutscher Lieferung. Wir konnten das dokumentieren. Ich bin dann in Deutschland auch in der Tagesschau aufgetreten, um darüber zu berichten. Die damalige CDU/FDP-Regierung geriet durch unsere Belege vom Einsatz deutscher Panzer durch die türkische Armee so unter Druck, dass sie die Waffenlieferungen an die Türkei 1992 für ein halbes Jahr aussetzen musste. Deutsche Waffenlieferungen an die Türkei und die Unterdrückung der Kurdinnen und Kurden waren dann auch immer wieder Thema von parlamentarischen Anfragen, die ich als Abgeordnete der PDS und später der Linken im Bundestag gestellt habe.

Wann waren Sie das letzte Mal in Kurdistan?

Das letzte Mal war ich 2014 in Kurdistan. Ich bin damals über die Türkei beziehungsweise Nordkurdistan nach Südkurdistan und von dort weiter nach Rojava gefahren. Das war genau die Zeit, als die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat” (IS) die Eziden in Shingal (Şengal) angegriffen hatte und Zehntausende ezidische Flüchtlinge durch den von der PKK und den YPG/YPJ freigekämpften Korridor nach Rojava flohen. Ich habe damals diese Ereignisse also aus erster Hand mitbekommen - sowohl die Ankunft der völlig traumatisierten Überlebenden dieses Genozids als auch die großartige Hilfe und Solidarität der Menschen in Rojava mit den Fliehenden. Ich habe mich dann in Deutschland erst einmal für ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestehendes Verbot des IS stark gemacht - und natürlich erst recht für eine Aufhebung des PKK-Verbots.

Welche Botschaft haben Sie an die Kurden in der deutschen Diaspora, in Kurdistan und weltweit?

Über die vielen Jahre habe ich den Freiheitskampf der Kurdinnen und Kurden kennengelernt. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie sich die Kurden trotz jahrzehntelangen Kriegen und Staatsterrors bis hin zum Genozid an den Eziden in Shingal nicht entmutigen lassen, sondern weiter für Freiheit, für Frieden und Demokratie kämpfen. Dabei konnte ich als Linke aus Deutschland immer wieder vom kurdischen Kampf lernen und diesen auch als Ermutigung begreifen. Während wir in der Linkspartei- und Fraktion in Deutschland noch über eine quotierte Doppelspitze stritten, hatten die Kurden eine solche Quotierung schon in vielen ihrer Parteien, Organisationen und Kommunen eingeführt. Meine Botschaft an die Kurdinnen und Kurden weltweit ist daher, dass ich hoffe und zuversichtlich bin, dass sie mit ihrem beharrlichen Durchhaltevermögen, ihrer Organisiertheit und ihrem demokratischen Kampfgeist ihre Rechte sichern und einen anerkannten Status für das kurdische Volk und Frieden für Kurdistan erreichen werden.