Inhaftierter Journalist: Keine Corona-Prävention in Gefängnissen

Der kurdische Journalist Nedim Türfent widerspricht Regierungsangaben, wonach in den Gefängnissen der Türkei Präventivmaßnahmen gegen das Coronavirus ergriffen worden seien. Insbesondere für kranke Gefangene müsste ein Schutzschild errichtet werden.

Der im Hochsicherheitsgefängnis von Van (kurd. Wan) inhaftierte kurdische Journalist Nedim Türfent widerspricht türkischen Regierungsangaben, wonach in den Gefängnissen der Türkei Präventivmaßnahmen gegen eine Einschleppung des neuartigen Coronavirus ergriffen worden seien. Behauptungen, dass alle notwendigen Maßnahmen in die Wege geleitet wurden, um Gefangene zu schützen, seien schlichtweg falsch, erklärte Türfent im Rahmen eines Telefonats mit seinen Angehörigen.

Die Inhaftierten hätten nicht schlecht gestaunt, als sie einer entsprechende Erklärung des Justizministers lauschten. Nur vor einige wenige Zellen sei jeweils eine Flasche Desinfektionsmittel gestellt worden, sagte Türfent. Forderungen nach weiteren Desinfektionsmitteln, Kolonya (Eau de Cologne) und Atemschutzmasken würden von der Gefängnisleitung nicht erfüllt. Letztere seien prinzipiell zwar im Gefängnis-Kiosk zu kaufen, allerdings für einen Wucherpreis von 17 Türkischen Lira (umgerechnet etwa 2,40 Euro). Ein Preis, den sich die wenigsten der rund 300.000 Gefangenen in den überfüllten Haftanstalten des Landes leisten können.

Wan grenzt an Iran

Die Provinz Wan grenzt an den Iran, eines der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder. Gerade deshalb müssten insbesondere für die vielen kranken Gefangenen Sofortschutzmaßnahmen her, fordert Türfent nach Angaben seiner Angehörigen. Laut den jüngsten Zahlen des Menschenrechtsvereins IHD sind derzeit 1333 Häftlinge in türkischen Gefängnissen krank, 478 von ihnen sind lebensbedrohlich krank. Damit gehören sie zur Personengruppe mit einem erhöhten Risiko für schwere Covid-19-Krankheitsverläufe. Nach Ansicht der Leitung des Hochsicherheitsgefängnisses in Wan reichten Entkalker und Waschmittel jedoch als Schutz vor dem Coronavirus aus, zitieren Familienmitglieder den Journalisten. Verantwortungslose Äußerungen, die an Respektlosigkeit gegenüber Menschenleben kaum zu überbieten sind. Türfent fordert die sofortige Freilassung aller kranken Gefangenen. Zudem müsse die seit Monaten angekündigte Justizreform endlich im Parlament debattiert werden.

Corona: HDP fordert Freilassung von Gefangenen 

Auch die HDP fordert zum Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus die Freilassung von kranken und alten Gefangenen sowie von Minderjährigen und Müttern von Kindern. Zudem soll das Recht auf telefonische Kommunikation ausgeweitet werden.

Festnahmen wegen Zweifeln an offizieller Darstellung

Über das tatsächliche Ausmaß der Verbreitung des Coronavirus herrscht in der Türkei Unklarheit. Laut aktuellem Stand gibt es nach Angaben des Gesundheitsministers Fahrettin Koca bisher 47 Infizierte. Bei 29 von ihnen handele es sich um Personen, die vor kurzem aus den USA, dem Mittleren Osten und aus Europa in die Türkei eingereist seien. Drei weitere seien Pilgerreisende. Da das Nachbarland Iran weltweit mit am schwersten von der Pandemie betroffen ist, erscheinen diese Angaben wenig glaubhaft. 19 Personen in der Türkei, die in sozialen Netzwerken Zweifel an dieser Darstellung geäußert hatten, wurden bereits festgenommen. Nach 74 weiteren wird gefahndet.

Wer ist Nedim Türfent?

Nedim Türfent, Korrespondent der mittlerweile per Notstandsdekret verbotenen Nachrichtenagentur DIHA, ist im Mai 2016 in Wan verhaftet worden. Zuvor hatte er über den Machtmissbrauch von türkischen Staatsbeamten berichtet. Konkret ging es um eine Videoaufnahme vom August 2015 aus der nordkurdischen Provinz Colemêrg (Hakkari). Das Video zeigt eine Sondereinheit türkischer Sicherheitskräfte dabei, wie sie mehrere Dutzend Arbeiter einer Baustelle in Handschellen legt und sie dazu zwingt, sich auf den Boden zu legen.

Im Hintergrund sind Gebrüll, rassistische Beschimpfungen und Drohungen zu hören. Gegen Ende des Videos fällt folgender Satz: „Jetzt werdet ihr die Macht der Türken spüren!“ Und weiter: „Ich kenne jetzt eure Gesichter. Wer uns betrügt, muss mit den Konsequenzen rechnen. Was hat euch dieser Staat angetan? Jetzt werdet ihr die Macht der Türken zu spüren bekommen“.

Nachdem Nedim Türfent über den Vorfall berichtete, wurde er mehrfach bedroht – unter anderem vom JITEM, dem informellen Geheimdienst der türkischen Militärpolizei. Er wurde an der Recherche und Berichterstattung gehindert und schließlich aufgrund von fingierten Ermittlungen verhaftet. Die Anklageschrift gegen den Journalisten wurde erst verfasst, nachdem er bereits dreizehn Monate in Untersuchungshaft saß. Der zuständige Staatsanwalt sah in Türfents journalistischen Tätigkeiten und seinen Artikeln ausreichend Beweise, um eine Haftstrafe von über 22 Jahren zu fordern.

Am 15. Dezember 2017 wurde der Journalist wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Später wurde die Haftdauer dann noch wegen des „Fortbestands der Tatbestände“ auf acht Jahre und neun Monate verlängert. Anfang Oktober 2019 wurde das Urteil vom türkischen Kassationsgerichtshof bestätigt.