„In den Bergen entdeckte Sara verborgene Seiten an sich“

Ein Freund erinnert sich an die gemeinsame Zeit mit der deutschen Internationalistin Sarah Handelmann in den kurdischen Bergen.

Am 7. April 2019 ist Sarah Handelmann in den Bergen Kurdistans bei einem Luftangriff der türkischen Armee ums Leben gekommen. Die deutsche Internationalistin hatte sich 2017 der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) angeschlossen und war als Sara Dorşîn Mitglied der Frauenguerilla YJA-Star. Ein internationalistischer Freund erinnert sich im Interview an die gemeinsame Zeit in den Bergen.

Du hast Sara Dorşîn in den Bergen kennengelernt, wo ihr gemeinsam an einer Bildung teilgenommen habt. Wie war dein Eindruck von ihr damals?

Ich lernte sie zunächst als eine sehr ruhige Person kennen. Zurückhaltend ist nicht das richtige Wort, um sie zu beschreiben, aber sie hat definitiv nicht großes Aufsehen erregt. Doch ihre Persönlichkeit veränderte und entwickelte sich sehr schnell in den Bergen.

Wie war sie während der Bildung? Was für einen Eindruck hat sie auf dich gemacht?

Für alle, die aus Europa kommen, ist das Leben in den Bergen und in der Partei eine Herausforderung. Es ist zunächst schwierig. Aber trotz der Schwierigkeiten, die alle haben, ist es Sara schnell gelungen, eine militante Persönlichkeit zu entwickeln. Ihre Entwicklung von einer ruhigen Person zu einer militanten und guten Guerillakämpferin war sehr schnell. Sie entwickelte sehr schnell die Fähigkeiten, die notwendig sind, um eine Guerillakämpferin zu werden.

Worin genau bestanden diese Eigenschaften, die sie zu einer guten Guerillakämpferin machten?

In Bezug auf die militärischen Aspekte während des Trainings und die militärischen Übungen, die wir machten, schien es nicht so, als ob sie dies alles von Grund auf neu lernen würde. Es wirkte eher so, als hätte sie vieles bereits im Blut gehabt, ohne sich dessen selbst bewusst zu sein. Es schien, als wäre dies eine unbekannte Seite von ihr, von der sie selbst nichts gewusst hat. Bis dahin hatte sie nicht bemerkt, dass sie ein solches Potenzial in sich trug. Und als sie anfing, das zu realisieren, führte es zu einer sehr großen Veränderung ihrer Persönlichkeit. Viele Fähigkeiten, die bei der Guerilla notwendig sind, um zu überleben, besaß sie von Anfang an. Ich habe das deutlich an ihr gesehen. Sie war sehr diszipliniert und auch eine sehr gute Schützin. Die Art und Weise, wie sie sich in der Landschaft und zwischen Bäumen bewegte, wie sie auf Drohnen usw. reagierte – ihr Umgang mit all diesen Dingen war perfekt.

Du würdest also sagen, dass sie sich schnell an das Leben als Guerillakämpferin in den Bergen angepasst hat?

Ja, das würde ich sagen. Ich konnte auch deutlich sehen, dass sie für den Fall, dass sie dem Feind gegenüberstehen würde, instinktiv auf die notwendige Weise reagieren würde. Ich sah, dass sie Eigenschaften besaß, die es ihr im Falle eines echten Krieges ermöglichen würden, instinktiv zu handeln, anstatt lange darüber nachzudenken, was sie tun musste. Während der militärischen Ausbildung erkannte ich in ihr diese Fähigkeit.

Gab es Dinge, mit denen sie in den Bergen zu kämpfen hatte?

Ja. Als Feministin aus Europa hatte sie am Anfang mit der Tatsache zu kämpfen, dass sie in der Grundausbildung mit Freunden aus einem Umfeld zusammenlebte, in dem Frauen eher akzeptieren, dass sie sowohl körperlich als auch geistig schwächer sind als Männer. Dies war ein wirklich schwieriges Thema für sie und etwas, das irgendwann zu Frustration führte. Sie war manchmal nicht in der Lage, bestimmte Arbeiten zu erledigen, die sie machen wollte, weil dies angeblich zu schwer für eine Frau war. Für mich war klar, dass sowohl ihre körperliche als auch ihre geistige Stärke ihre körperliche Erscheinung bei weitem übertraf hat. Sie war keine große Person, aber sie war sowohl körperlich als auch geistig extrem stark.

Für welche Themen interessierte sie sich in Bezug auf politische und ideologische Fragen?

Ich hatte nicht viele ideologische und politische Diskussionen mit ihr, weil Frauen und Männer während der freien Zeit unterschiedliche Ruheplätze hatten. Deswegen hatte ich auch nicht die Gelegenheit, persönlich mit ihr Zeit zu verbringen, um entspannte Diskussionen über diese Art von Themen zu führen. Das ist also eine Seite von ihr, die ich leider nicht sehr gut kennengelernt habe. Trotzdem wurde durch ihr Verhalten im täglichen Leben deutlich, dass sie während der theoretisch-ideologischen Bildung viel gelernt hatte.

Hat sie im Unterricht an den Diskussionen während der Bildung teilgenommen?

Ja, aber es existierte auch eine Sprachbarriere. Şehîd Bager [Michael Panser] hat oft für uns übersetzt. Aber ja, sie hat sich an den Diskussionen beteiligt. Aufgrund der Sprachbarriere vielleicht nicht so häufig, aber sie war sehr interessiert und verfolgte unsere Bildung mit sehr viel Aufmerksamkeit.

Wenn du an Sara Dorşîn denkst, was ist die prägendste Erinnerung, die du an sie hast? Was verbindest du am meisten mit ihr?

Wenn ich andere Internationalisten sehe, besonders Frauen, sehe ich sie oft wieder vor mir und erinnere mich an sie. Denn Şehîd Bager, Şehîd Sara und ich waren drei Internationalisten zusammen in derselben Bildung. Jedes Mal, wenn ich einen Internationalisten sehe, erinnere ich mich an sie. Und es lässt mich auch über die Grundlagen nachdenken, auf denen die Partei aufgebaut wurde. Jedes Mal, wenn ich Bücher über die Geschichte der Partei lese, kommen mir Bager und Sara in den Sinn. Wenn ich durch einen Wald gehe oder auf Steinen laufe, erinnert mich das auch an Sara. Denn ich erinnere mich daran, dass sie während der militärischen Ausbildung natürliche Talente hatte, die damit zusammenhängen, wie sich eine Guerillakämpferin zwischen Bäumen oder auf Steinen bewegen sollte, ohne ein Geräusch zu machen. Jedes Mal, wenn ich irgendwo auf Steinen laufe, sehe ich plötzlich ihr Gesicht vor mir. Jedes Mal, wenn ich durch einen Wald oder auf Steinen laufe, denke ich darüber nach, wohin ich gehen könnte, falls der Feind angreift. Ich spiele bestimmte Szenarien in meinem Kopf durch. Gerade in solchen Momenten denke ich an Şehîd Sara.

Hattest du auch Gespräche mit ihr über Europa und ihr Leben dort?

Ich habe nicht so viel mit ihr darüber gesprochen. Die meisten unserer Diskussionen bezogen sich auf unsere Bildung und die täglichen Schwierigkeiten in den Bergen. Auch wenn diese Schwierigkeiten, denen du in den Bergen begegnest, natürlich mit der Gesellschaft zusammenhängen, aus der du kommst. Wir hatten hauptsächlich Diskussionen, die in direktem Zusammenhang mit der Herausforderung standen, wie die Guerilla zu leben.

Hast du sie nach der Bildung noch einmal gesehen?

Nein, nach Abschluss der Bildung wurden uns verschiedene Aufgaben zugewiesen. Wenn ich mich nicht irre, wurde sie in die Region Gare geschickt. Aber das ist wirklich schon alles, was ich weiß. Nach der Ausbildung trennten sich unsere Wege und wir sahen uns nie wieder.

Wie hast du erfahren, dass sie gefallen ist?

Damals war ich nicht mehr in den Bergen. Ich habe es tatsächlich aus den Nachrichten im Fernsehen erfahren.

Wie hast du dich gefühlt, als du es erfuhrst?

Natürlich ist es selbstverständlich, dass du traurig bist, wenn du eine Genossin bzw. einen Genossen verlierst. Aber vor allem in Verbindung mit jemandem, mit der du deine ersten Tage als Kader der Partei verbracht hast. Es ist nur natürlich, dass dies einen zusätzlichen Effekt auf dich hat. Natürlich ist es immer traurig, wenn ein Parteimitglied fällt, egal in welchem Teil Kurdistans. Aber ich kann gleichzeitig sagen, dass es mich auch stolz und glücklich gemacht hat. Mich als Internationalisten macht es stolz in dem Sinne, dass eine internationalistische Freundin, die aus Europa gekommen war, ihr Leben unserem Kampf widmete und ihren Eid als Kader ablegte. Der erste Gefallene der Partei war selbst ein Internationalist. In diesem Sinne ist dies eine Fortsetzung und ein Beweis dafür, dass die Werte, für die unsere Partei kämpft, nicht nur Ausdruck eines kurdischen Kampfes für kurdische Rechte und das Existenzrecht der Kurdinnen und Kurden ist.