Imrali-Gefangene ziehen vor Menschenrechtsgerichtshof

Das türkische Verfassungsgericht hat die Aufhebung der Kontaktsperre für Abdullah Öcalan und seine drei Mitgefangenen auf Imrali abgelehnt. Das Verteidigerteam hat den Fall jetzt vor den europäischen Menschenrechtsgerichtshof gebracht.

Der Antrag des Rechtsbüros Asrin auf Aufhebung der Kontaktsperre für seine Mandanten Abdullah Öcalan, Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş auf der Gefängnisinsel Imrali ist vom türkischen Verfassungsgericht abgelehnt worden. Das Gericht sieht keine ernste Gefahr für das Leben der Antragsteller. Das Rechtsbüro Asrin hat daraufhin einen Eilantrag an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestellt.

Wie die Kanzlei, die Abdullah Öcalan seit seiner Verschleppung in die Türkei im Jahr 1999 juristisch vertritt, in einer über Twitter verbreiteten Erklärung mitteilt, ist das Kommunikationsverbot für ihre Mandanten auf Imrali seit Beginn der Corona-Pandemie Anlass zu noch größerer Besorgnis. Alle Anträge auf Gewährleistung der notwendigen Präventionsmaßnahmen und entsprechender Kommunikationsmöglichkeiten sind abgelehnt worden. Daraufhin hat sich das Rechtsbüro am 19. Juni an das Verfassungsgericht gewandt. Auch dieser Antrag wurde am 22. Juli abgewiesen. Da die Rechtsmittel in der Türkei damit ausgeschöpft sind, ist das Anwaltsteam vor den EGMR gezogen.

Das Rechtsbüro verweist auf eine EGMR-Entscheidung aus dem Jahr 2014, mit der die Türkei im Zusammenhang mit den Vollzugsbedingungen auf Imrali wegen Verletzung des in der europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Folterverbots verurteilt worden ist. „Dieses Urteil dokumentiert, dass es sich bei dem seit 21 Jahren auf Imrali angewandten Isolationssystem um Folter handelt“, stellt das Rechtsbüro in seiner heute veröffentlichten Erklärung fest. Aufgrund der schlechten Haftbedingungen, der langen Haftdauer, des Alters und bestehender chronischer Erkrankungen ihrer Mandanten müsse ihr Gesundheitszustand kontinuierlich kontrolliert und eine Kommunikation ermöglicht werden.

Die Isolation auf Imrali ist in der Vergangenheit mit angeblichen Defekten des zur Überfahrt auf die Insel genutzten Schiffes, widrigen Wetterbedingungen oder Ausnahmezustandsdekreten verschärft worden, teilt das Rechtsbüro mit: „In den letzten zwei Jahren wird die Isolation durch in regelmäßigen Abständen automatisch aktualisierte Disziplinarstrafen verschärft.“ Die Verhängung dieser Disziplinarstrafen sei willkürlich und juristisch nicht nachvollziehbar. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) haben Grundsatzerklärungen zur Gefängnisfrage in der Corona-Pandemie abgegeben. Auch das türkische Justizministerium hat ein Maßnahmenpaket zum Strafvollzug beschlossen. „Diese Grundsätze und Beschlüsse werden im Gefängnis Imrali jedoch nicht umgesetzt. Lediglich am 27. April 2020 ist durch öffentlichen Druck erst- und einmalig ein zwanzigminütiges Telefongespräch mit Angehörigen durchgesetzt worden. Herr Öcalan hat in diesem Gespräch gesagt: ‚Im Moment geht es uns gut, aber was später wird, weiß ich nicht.‘ Damit hat er auf mögliche Risiken verwiesen. Seit diesem Tag ist keine weitere Kommunikation genehmigt worden“, teilt das Anwaltsteam mit.

Das Rechtsbüro Asrin bezeichnet das Isolationssystem auf Imrali als Prototyp für das juristische und politische System der Türkei. Der letzte Anwaltsbesuch bei Abdullah Öcalan hat am 7. August 2019 stattgefunden. Die anderen drei Gefangenen haben seit ihrer Verlegung nach Imrali vor fünf Jahren noch nie mit ihren Anwälten sprechen können. „Diese Tatsache betrifft nicht nur Imrali, es geht auch um den Kampf für Menschenrechte, ein demokratisches Rechtswesen und eine demokratische Politik in der Türkei. Solange die Rechtlosigkeit und Willkür auf Imrali nicht aufgehalten wird, kann sie auch an anderen Stellen nicht unterbunden werden“, so die Asrin-Erklärung.