Aus dem am 7. November des vergangenen Jahres begonnenen Hungerstreik der HDP-Politikerin Leyla Güven ist mit der Zeit eine Protestbewegung geworden, die unter dem Motto „Isolation durchbrechen, Faschismus zerschlagen, Kurdistan befreien“ die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalans und die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung fordert. Unzählige Menschen weltweit beteiligen sich an dem Massenprotest. Allein in den Gefängnissen der Türkei sind es rund 7.000 politische Gefangene, die im Hungerstreik sind und auf Bedingungen für Öcalan bestehen, in denen er als Vorsitzender einer legitimen Bewegung frei leben und arbeiten kann, um so zur Lösung der kurdischen Frage beizutragen.
Weltweit bekunden immer mehr Menschen ihre Solidarität mit Leyla Güven und der von ihr ins Leben gerufenen Protestbewegung. Die Fraktion der Partei DIE LINKE. hat eine gemeinsame Erklärung zum Hungerstreik der kurdischen Aktivist*innen veröffentlicht, und fordert darin eine rechtsstaatliche Behandlung aller in der Türkei aus politischen Gründen Inhaftierten. Unterzeichnet wurde die gemeinsame Erklärung von den Parlamentarier*innen Gökay Akbulut, Nicole Gohlke, Ulla Jelpke, Martina Renner, Michel Brandt, Doris Achelwilm, Bernd Riexinger, Matthias W. Birkwald, Alexander Ulrich, Diether Dehm, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, Cornelia Möhring, Niema Movassat, Christine Buchholz, Jörg Cezanne, Zaklin Nastic, Dr. Achim Kessler, Andrej Hunko und Jessica Tatti.
Türkei muss Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention einhalten
„Die Türkei muss als Mitglied des Europarates die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention einhalten – auch in Bezug auf Inhaftierte! Abschottungen und Isolationen widersprechen diesen Vorgaben und stellen schwere Menschenrechtsverstöße dar. Besuche von Verwandten und des Rechtsbeistandes müssen ermöglicht werden!
Diese selbstverständlichen Forderungen haben aktuell über 7.000 kurdische Aktivist*innen gegenüber der türkischen Regierung gestellt. Die Aktivist*innen befinden sich aktuell in einem unbefristeten Hungerstreik, bis die Forderungen umgesetzt werden.
Wir sind über die Entwicklungen und die Situation der politischen Gefangenen in der Türkei äußerst besorgt. Insgesamt wurden 26 Abgeordnete der oppositionellen HDP, aus politischer Willkür, inhaftiert. Gegenwärtig befinden sich über 5.000 Mitglieder und Sympathisant*innen der Partei aufgrund unterschiedlicher Vorwürfe in Haft (siehe Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion, BT-Drs. 19/8484).
Der Hungerstreik als Mittel des politischen Protestes mag von vielen abgelehnt werden oder stößt auf Unverständnis – auch innerhalb der LINKEN. In der Geschichte der linken und kurdischen Bewegung in der Türkei haben Hungerstreiks allerdings Tradition. Hungerstreiks werden oftmals aus Gefängnissen heraus gegen die Repressionen des Staates als letzte Protestmöglichkeit angewendet, ähnlich wie bei vielen anderen Widerstandsbewegungen weltweit.
Mangel an internationaler Solidarität und Berichterstattung
Die Forderungen der Hungerstreikenden sollten jedoch von allen Demokrat*innen, die sich für Rechtsstaatlichkeit einsetzen, als selbstverständlich angesehen werden. Jedoch mangelt es immer noch an internationaler Solidarität und Berichterstattung darüber. In der Türkei ist die Pressefreiheit durch Erdogan sehr stark eingeschränkt, sie existiert quasi nicht mehr. Obwohl sich auch Menschen in Deutschland am Hungerstreik beteiligen und es über 100 Aktionen in Deutschland gab, hat der Streik kaum Echo in den deutschen Medien erhalten. Die Bundesregierung schweigt leider zu diesem Protest. Für sie sind offenbar die wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei wichtiger als Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Als führendes Mitglied des Rats der Europäischen Union könnte die Bundesregierung die Türkei dazu bewegen, den politisch Inhaftierten eine rechtsstaatliche Behandlung zu garantieren und damit auch die Leben der hungerstreikenden Menschen retten. Es ist jetzt Zeit, endlich aktiv zu werden - und zwar im Sinne der Menschen und nicht der wirtschaftlichen Beziehungen!
Zum Hintergrund:
Viele der zahlreichen politisch willkürlichen Inhaftierungen von kurdischen Politiker*innen und Aktivist*innen in der Türkei werden von den türkischen Behörden mit einer angeblichen Nähe zur Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch: Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) begründet.
Die PKK wird zwar in der Türkei und in Deutschland als Terrororganisation angesehen, jedoch gibt es zahlreiche Gerichtsurteile, die sie nicht als Terrororganisation, sondern als eine Partei innerhalb eines Konflikts nach internationalem Recht einstufen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass jene Staaten, die die PKK als terroristisch bewerten, dies aus einer bestimmten politischen Interessenlage heraus tun. Die PKK ist schon seit mehr als zwei Jahrzehnten bemüht, einen Friedensprozess zu führen. Die Friedengespräche im Zeitraum 2012-2015 wurden einseitig von der türkischen Regierung beendet. Seither führt die türkische Regierung einen andauernden martialischen Krieg gegen die Kurd*innen in der Türkei und in Rojava/Nordsyrien.
Der Repräsentant von Millionen Kurd*innen und akzeptierte Akteur vergangener Friedensverhandlungen mit der türkischen Regierung, Abdullah Öcalan, ist seit über 20 Jahren inhaftiert. Seit mehreren Jahren befindet er sich in Isolationshaft. So genehmigten die türkischen Behörden in den letzten vier Jahren lediglich zwei Kurzbesuche seines Bruders. Besuch von seinen Anwälten wurde ihm zuletzt vor über sieben Jahren gewährt. Abgeordnete der Opposition durften ihn zuletzt im Frühjahr 2015 besuchen. Auch das Antifolter-Komitee des Europarates äußert klare Kritik an dieser Isolationspolitik des türkischen Staates.
Leyla Güven ist eine der verhafteten HDP-Abgeordneten. Sie sieht insbesondere in der Isolationshaft von Öcalan ein Hindernis für die Verbesserung der Lage von zehntausenden politischen Inhaftierten und die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen. Insgesamt 800 Besuchsanträge, die von Öcalans Anwälten in den letzten sieben Jahren gestellt wurden, lehnten die türkischen Behörden aus aberwitzigen Gründen ab. Nachdem alle Rechtsmittel erfolgslos ausgeschöpft waren und wirkungslos blieben, und auch alle sonstigen Protestformen nichts an der Lage der politischen Inhaftierten ändern konnten, sah sie keinen Ausweg aus der Misere. Schließlich blieb ihr in dieser Notlage nur noch der Versuch, durch einen unbefristeten Hungerstreik die internationale Öffentlichkeit wach zu rütteln und Druck auf die türkische Regierung aufzubauen. Seit dem 7. November 2018 (also 142 Tagen) befindet sich Leyla Güven im unbefristeten Hungerstreik. Sie fordert damit ein Ende der Isolationshaftbedingungen für Abdullah Öcalan, als Türöffner für eine rechtsstaatliche Behandlung aller politischen Inhaftierten und einer Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen.
Den Forderungen haben sich weltweit tausende Menschen angeschlossen, darunter auch Aktivist*innen in Deutschland. Dieser Protest hat bisher bewirkt, dass Öcalan zumindest einen 15 minütigen Besuch seines Bruders erhalten durfte und Güven aus der Haft entlassen wurde. Sie führt seitdem ihren Hungerstreik Zuhause fort.”