HRW fordert Freilassung von Flüchtlingskindern in Griechenland

Die Menschenrechtsorganisation HRW hat Griechenland aufgefordert, unbegleitete Flüchtlingskinder freizulassen und sie angesichts der Corona-Pandemie angemessen unterzubringen. Laut Regierungsangaben werden über 330 Kinder in Haftzentren festgehalten.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisiert den Umgang der griechischen Regierung mit hunderten unbegleiteten Flüchtlingskindern, die unter unhygienischen Bedingungen in griechischen Haftzentren und Polizeiwachen festgehalten werden, und fordert ihre umgehende Freilassung.

„Die griechische Regierung hat die Pflicht, diese missbräuchliche Praxis zu beenden und sicherzustellen, dass diese gefährdeten Kinder die Betreuung und den Schutz erhalten, die sie brauchen“, erklärte die HRW-Griechenlandexpertin Eva Cosse am Dienstag anlässlich der heute beginnenden HRW-Kampagne #FreeTheKids. Die Kinder seien wegen der schlechten hygienischen Umstände außerdem einer erhöhten Infektionsgefahr mit dem neuartigen Coronavirus ausgesetzt. Die Organisation wies zudem auf Daten der griechischen Regierung hin, wonach sich mehr als 330 Kinder in Polizeigewahrsam befinden und auf ihre Überstellung in eine Unterkunft warten – ein erheblicher Anstieg gegenüber Januar, als die Zahl noch bei 180 lag.

Mit Kampagne Druck auf Premierminister ausüben

Mit der Kampagne #FreeTheKids soll Druck auf Griechenlands Premierminister Mitsotakis aufgebaut werden, um eine sofortige Freilassung der inhaftierten unbegleiteten Flüchtlingskinder und ihre Verlegung in sichere und kindgerechte Einrichtungen zu erreichen. HRW initiierte diese Kampagne nach jahrelanger Recherche- und Lobbyarbeit zur Praxis der griechischen Behörden, Kinder einzusperren, die sich ohne Eltern oder Verwandte in Griechenland aufhalten. Die Organisation hat immer wieder an griechische Regierungen appelliert, diese schweren Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.

„Die griechischen Behörden beschreiben die Inhaftierung unbegleiteter Kinder als eine vorübergehende Schutzmaßnahme, die im besten Interesse der Kinder liege. In der Praxis wirkt die Inhaftierung jedoch alles andere als schützend. Nach griechischem Recht müssen unbegleitete Kinder in eine sichere Unterkunft gebracht werden. In Griechenland herrscht jedoch ein chronischer Mangel an Plätzen in geeigneten Einrichtungen, etwa Heimen für unbegleitete Kinder”, so HRW. 

Haft verursacht langfristige Folgeschäden für Kinder

Wie die Recherchen von Human Rights Watch gezeigt haben, werden Kinder infolgedessen willkürlicher und lang andauernder Haft, menschenunwürdiger Behandlung sowie unhygienischen und herabwürdigenden Haftbedingungen unterworfen. Es komme auch zur Inhaftierung mit Erwachsenen und zu Misshandlungen durch die Polizei. „Die Haft verursacht bei den Kindern schwere langfristige Folgeschäden wie Entwicklungsstörungen, Angstzustände, Depressionen, posttraumatisches Stresssyndrom und Gedächtnisverlust. Die betroffenen Kinder haben meist keine Möglichkeit, medizinische Behandlung, psychologische Beratung oder juristische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Nur die wenigsten von ihnen wissen, warum und für wie lange sie inhaftiert sind.”

Im Jahr 2019 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Griechenland in zwei Fällen wegen der menschenrechtswidrigen Inhaftierung unbegleiteter Kinder. Die Straßburger Richter urteilten, die Inhaftierung der Kinder verletze ihr Recht auf Freiheit und die Bedingungen ihrer Haft stellten eine herabwürdigende Behandlung dar.

Griechenland beginnt mit Evakuierung von 60 Kindern

Derweil beginnt Griechenland in den nächsten Tagen mit der Umsiedlung von mehr als 60 unbegleiteten jungen Migranten aus Lagern auf den ägäischen Inseln. „Zwölf Kinder werden am Mittwoch nach Luxemburg und 50 am Samstag nach Deutschland umgesiedelt“, sagte Griechenlands Migrationsminister Notis Mitarachi am Dienstag einem Radiosender in Athen.

Anfang März hatten sich acht EU-Länder, darunter Deutschland, und die Schweiz bereit erklärt, insgesamt 1.600 unbegleitete Minderjährige aus den überfüllten Flüchtlingscamps aufzunehmen. Dass die Bundesregierung nur 50 Kinder evakuieren will, stößt auf breite Kritik. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, nannte das Vorgehen eine „schäbige Symbolpolitik”, die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland warfen der Bundesregierung und anderen EU-Ländern Versagen in der Frage der Evakuierung von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen aus den Lagern in Griechenland vor. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, erklärte gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung: „Es ist ein richtiger Schritt, dass jetzt endlich 50 Kinder kommen können. Aber es ist viel zu wenig.“

Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, kritisierte die europäischen Regierungen scharf und bezeichnete die Lage der Menschen in den Hotspots gegenüber der Passauer Neuen Presse als „beschämende Folge rechtspopulistischen Gedankenguts in Europa“. Angesichts der geringen Zahl von der Bundesregierung zugesagter Aufnahmen, sagte er: „Wir müssen zeigen, dass Humanität in Europa keine Dekoration ist, sondern zu seinen Grundpfeilern gehört.“