HDP fordert internationales Handeln gegen türkische Angriffe

Die HDP weist darauf hin, dass die Türkei als Mitglied der NATO und des Europarats den von Russland kontrollierten Luftraum nutzt, um die Kurden in Kobanê anzugreifen, die 2014 unter großen Opfern den IS besiegt haben und ihren Kampf seither fortsetzen.

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) ist eine der wenigen Parteien, die den Angriff der türkischen Armee auf Nordsyrien und Nordirak scharf verurteilen und vor den Konsequenzen warnt. In einer aktuellen Stellungnahme teilen die Sprecher:innen der Kommission für auswärtige Angelegenheiten, Feleknas Uca and Hişyar Özsoy, zu der Militäroperation mit:

„Türkische Luftangriffe trafen am späten Abend des 19. November und am Morgen des nächsten Tages mehrere kurdische Städte in Nordsyrien und im Irak, darunter auch die Stadt Kobanê. Kobanê ist die Stadt, in der der IS 2014 mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und unter Einsatz tausender junger Menschen, darunter viele Frauen, besiegt wurde. Bisher wurden bei türkischen Luftangriffen Berichten zufolge dreizehn Zivilist:innen, darunter ein Journalist, und fünfzehn syrische Soldaten getötet und viele weitere verletzt. Örtlichen Quellen zufolge gehörten ein Krankenhaus, ein Getreidesilo und ein Kraftwerk zu den zerstörten zivilen Einrichtungen.

Bombenanschlag im Wahlkampf

Diese Angriffe folgten auf den abscheulichen Bombenanschlag in Istanbul am 13. November 2022, den die türkische Regierung sofort der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) anlastete. Beide haben jegliche Beteiligung an dem Anschlag vehement bestritten und ihr Beileid für die Opfer bekundet. Die Erklärungen des türkischen Innenministers haben eher für Verwirrung gesorgt als die Wahrheit hinter dem Anschlag ans Licht zu bringen, was viele Fragen aufwirft.

Vielleicht werden wir nie wirklich erfahren, welche Kräfte hinter dem Bombenanschlag in Istanbul stecken und was sie bezwecken, aber eines ist ganz klar: Die türkische Regierung hat diesen Anschlag als Vorwand und Legitimationsgrundlage benutzt, um ihre Aggression gegen die Kurd:innen in Syrien voranzutreiben. Präsident Erdoğan versucht, im Vorfeld der Wahlen im nächsten Jahr internationale Unterstützung für einen neuen großen Einmarsch in Nordsyrien zu gewinnen. Inmitten sich weiter verschärfender wirtschaftlicher Probleme führt er seinen Wahlkampf mit Kriegsführung und Kriegstreiberei.

Dämonisierung der HDP

Die Türkei hat öffentlich erklärt, dass sie ein komplettes Gebiet an ihrer südlichen Grenze sowohl zu Syrien als auch zum Irak kontrollieren will, und zu diesem Zweck hat sie Kämpfer und Söldner mit unterschiedlichem Hintergrund, zumeist Islamisten, eingesetzt. Dies ist ein anerkanntes Ziel. Die jüngsten Angriffe selbst dienen jedoch auch dem Zweck, die Wahlchancen von Präsident Erdoğan zu erhöhen. Sie können genutzt werden, um die Wähler für eine nationalistische und antikurdische Agenda zu gewinnen, um die Demokratische Partei der Völker (HDP), die bei den bevorstehenden Wahlen den Ton angibt, zu dämonisieren und gegen sie vorzugehen, und um andere Oppositionsparteien ins Abseits zu drängen, von denen man erwarten kann, dass sie Erdoğans Nationalismus nachlaufen.

Anschläge und Militäroperationen im Vorfeld von Wahlen

Die Türkei hat eine Geschichte von Sprengstoffanschlägen im Vorfeld von Wahlen und blutigen Wahlkämpfen. Nachdem die AKP bei den Wahlen im Juni 2015 ihre Mehrheit im Parlament verloren und für November vorgezogene Neuwahlen ausgerufen hatte, eskalierte die Gewalt im ganzen Land; es kam zu mehreren Übergriffen, darunter auch Bombenanschlägen. Bei dem Anschlag auf die Kundgebung für Arbeit, Frieden und Demokratie in Ankara wurden über 100 Menschen, darunter viele HDP-Sympathisant:innen, getötet und mehr als 500 verletzt. Damals machte die Regierung auch die PKK verantwortlich und dämonisierte die HDP als Schlüsseldiskurs in ihrem Wahlkampf. Später stellte sich heraus, dass die IS hinter dem Anschlag steckte.

Wir wissen auch, dass jeder türkischen Wahl in jüngster Zeit ein Einmarsch in Nordsyrien vorausgegangen ist: Jarablus vor dem Referendum über das Präsidialsystem im Jahr 2017, Efrîn vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2018 und Serêkaniyê und Girê Spî vor den Kommunalwahlen im Jahr 2019. Präsident Erdoğan und seine Verbündeten scheinen ihren Wahlkampf für die im Juni 2023 angesetzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen bereits begonnen zu haben.

Die internationale Gemeinschaft sollte nicht schweigen

Wir möchten betonen, dass die Türkei, die Mitglied der NATO und des Europarats ist, den von Russland kontrollierten Luftraum nutzt, um die Kurd:innen in Kobanê und vielen anderen Städten anzugreifen, die 2014 unter großen Opfern den IS besiegt haben und ihren Kampf seither fortsetzen. Bislang hat die Türkei solche Angriffe gegen die Kurd:innen in Nordsyrien ungestraft organisiert. Interessanterweise hat das syrische Regime auch dieses Mal keinen starken Einspruch erhoben.

Die internationale Gemeinschaft sollte angesichts solcher tödlichen Angriffe, die einen klaren Verstoß gegen das internationale und humanitäre Recht darstellen, nicht schweigen. Wir fordern hiermit die internationale Gemeinschaft, die internationalen Institutionen sowie unsere Freundinnen und Freunde auf, unverzüglich gegen die grenzüberschreitenden Angriffe der Türkei vorzugehen und eine weitere humanitäre Katastrophe zu verhindern.

Foto: Beerdigung von elf Todesopfern der türkischen Luftangriffe in Dêrik