Die HDP-Abgeordnete Tülay Hatimoğulları hält sich zur Unterstützung der Erdbebenhilfe in Hatay auf, der südlichsten Provinz in der heutigen Türkei. Die aus einer alevitisch-arabischen Familie aus der Provinzhauptstadt Antakya stammende Politikerin weist darauf hin, dass viele Falschmeldungen im Erdbebengebiet kursieren, und appelliert an die Bevölkerung, ihre Heimat nicht zu verlassen.
„Ich möchte an alle vom Erdbeben Betroffenen appellieren: Es findet eine sehr ernste Desinformation statt, es werden erlogene und falsche Nachrichten verbreitet. Natürlich sollten wir Sicherheitsmaßnahmen gegen Diebstähle treffen, aber die verbreiteten Falschmeldungen dienen unter anderem dem Zweck, die Migration insbesondere aus Antakya, Samandağ und Defne zu beschleunigen“, erklärte die HDP-Abgeordnete und betonte eindringlich: „Wir werden nicht wegziehen, wir verlassen unsere Heimat nicht. Als Überlebende dürfen wir den Anspruch nicht aufgeben, die hiesige Struktur neu zu erschaffen und einen dieser Struktur entsprechenden Lebensraum aufzubauen. Lasst uns unseren Lebenskampf fortsetzen. Niemand sollte den Weg der Migration wählen, solange es beispielsweise wegen Krankheit nicht unbedingt erforderlich ist. Lasst uns in unserer Heimat bleiben und alle zusammen neue Lebensräume aufbauen.“
Die Provinz Hatay
Die Provinz Hatay gehörte bis zu Beginn des 20. Jahrhundert als „Sandschak von Alexandrette” zum Osmanischen Reich. Nach dessen Zerfall wurde der Sandschak 1918 von Frankreich besetzt und im Rahmen eines Völkerbundmandates als Teil Syriens von Frankreich verwaltet. 1923 erhielt Alexandrette einen Autonomiestatus. Dort sollten armenische Überlebende des Genozids von 1915 zusammen mit den alawitischen Araber:innen, die die Bevölkerungsmehrheit stellten, eine neue Heimat erhalten. 1936 lief das französische Völkerbundsmandat über Syrien ab. Die Türkei meldete Ansprüche auf den Sandschak Alexandrette an.
Um die Türkei davon abzuhalten, auf Seiten des Deutschen Reiches in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, schloss Frankreich im Juni 1939 einen Vertrag mit der Türkei, der dieses Gebiet als neue Provinz der Türkei zuschlug. Es folgten demografische Eingriffe, um die Mehrheitsverhältnisse der Bevölkerung in der Region zu verändern.
Der österreichische Schriftsteller Franz Werfel hat den Armenier:innen in Hatay mit seinem tausendseitigen Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ (1933) ein literarisches Denkmal gesetzt. In Antakya, dem antiken Antiochia, gab es seit 2400 Jahren eine jüdische Gemeinde. Bei dem Erdbeben vom 6. Februar kamen der Gemeindevorsteher und seine Frau ums Leben, die übrigen, meist sehr alten Mitglieder wurden von Hilfsorganisationen nach Istanbul gebracht.
Das heutige Hatay ist von seiner Nähe zu der türkisch-dschihadistisch kontrollierten Zone in Nordsyrien geprägt. Die Provinz grenzt an Efrîn und Idlib und ist Ausgangspunkt für Militärbewegungen der türkischen Armee. Über Hatay hat die Türkei auch dschihadistische Söldnertruppen aus Syrien nach Libyen verschifft. Das seit 2018 besetzte Efrîn fällt in den Zuständigkeitsbereich des Gouverneurs von Hatay.