Das Stadtbezirksamt Linden-Limmer hat beschlossen, einen Platz in Hannover nach Jina Mahsa Amini zu benennen. Der von Ratsherr Thomas Ganskow von den Piraten eingebrachte Antrag wurde am Mittwoch mehrheitlich mit den Ja-Stimmen von Piraten, Grüne und Linke, SPD und CDU angenommen. Gegenstimmen gab es keine, die Bezirksräte von FDP und „Die Partei“ waren nicht anwesend.
Die 22 Jahre alte Kurdin Jina Mahsa Amini war am 13. September 2022 mit ihrer Familie auf der Rückreise aus dem Urlaub zurück in ihre Heimatstadt Seqiz in Ostkurdistan. Bei einem Zwischenstopp in der iranischen Hauptstadt Teheran wurde sie von der Sittenpolizei festgenommen, weil sie ihre Kleidung nicht „ordnungsgemäß“ getragen haben soll. Laut Aussagen ihres jüngeren Bruders wurde sie gewaltsam in einen Polizeiwagen gezerrt und zu einer Polizeistation gebracht, wo sie kurze Zeit später kollabierte und ins Koma fiel. Am 16. September 2022 erklärten Ärzte des Kasra-Krankenhauses in Teheran Amini für tot.
An Aminis Tod entzündete sich die landesweite „Jin, Jiyan, Azadî“-Revolution. Die Bewegung stellt die bislang größte Bedrohung des islamistischen Mullah-Regimes in Iran seit dessen Bestehen dar. Der Sicherheitsapparat reagierte mit äußerster Härte auf die Volksrevolte. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights mit Sitz in Norwegen wurden mindestens 551 Menschen von Regimekräften im Zusammenhang mit dem Aufstand getötet, darunter 68 Minderjährige und 49 Frauen. Neben dem gewaltsamen Vorgehen folgte ein eiserner Kurs der Regime-Justiz. Weit mehr als 24.000 Menschen wurden verhaftet, mindestens sieben Demonstranten wurden hingerichtet. Weitere Todesurteile sollen womöglich bald vollstreckt werden.
Der bisher namenlose Platz in Hannover, der künftig Jina-Mahsa-Amini-Platz heißen wird, befindet sich in Linden-Mitte zwischen Stephanusstraße, Gartenallee und Minister-Stüve-Straße und Eleonorenstraße, und wird umgangssprachlich auch Stephanusplatz genannt. Piraten-Ratsherr Thomas Ganskow zeigte sich erfreut über den mehrheitlich angenommenen Beschluss für die Umbenennung. „Der Bezirksrat hat mit dieser Benennung etwas Historisches geleistet“, erklärte der Politiker in einer Mitteilung. Als erste Stadt in Deutschland werde in Hannover ein Platz nach der von religiösen Fanatikern getöteten Jina Mahsa Amini benannt. Die Namensgebung wird nach diesem Beschluss jetzt vorbereitet und in den kommenden Wochen offiziell vollzogen.
„Das ist ein großes Zeichen der Solidarität sowohl mit der iranischen Diaspora, wie auch mit den Menschen im Iran, die täglich um ihr Leben und für ihre Freiheit kämpfen. Und es ist mehr, als die herrschende Politik getan hat, die sich immer noch vor wirksamen Sanktionen insbesondere gegen die Revolutionsgarden sträubt. Vor allem ist es aber ein Zeichen der Solidarität mit den Frauen, die besonders unter dem Regime leiden und die sich von einer feministischen Außenpolitik Deutschlands, wie von Bundesaußenministerin Baerbock proklamiert, sicher mehr Unterstützung erwartet haben, als das bislang geschehen ist“, so Ganskow. Österreichs Hauptstadt Wien hatte im Mai als erste Stadt in Europa angekündigt, eine Straße nach Jina Mahsa Amini zu benennen, um damit den Freiheitskampf der Bevölkerung in Iran zu unterstützen.
Jina Mahsa Amini posthum für Sacharow-Preis nominiert
Eine weitere Ehrung könnte Jina Mahsa Amini auch auf Ebene des Europaparlaments bekommen. Die drei größten Fraktionen nominierten sie am Mittwoch für den renommierten Sacharow-Preis für Menschenrechte. Die Auszeichnung für Amini hat die Unterstützung der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der CDU und CSU gehören. Auch Sozialdemokraten und Liberale sind für die Ehrung. Damit gilt es als wahrscheinlich, dass sie den Preis im Dezember posthum erhält.
Der Sacharow-Preis für geistige Freiheit wird seit 35 Jahren an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die sich für die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit einsetzen. Im vergangenen Jahr hatte ihn die ukrainische Bevölkerung erhalten.
Iranische Abgeordnete stimmen für neues Kopftuchgesetz
Ebenfalls am Mittwoch stimmten Abgeordnete des iranischen Parlaments für ein neues „Hidschab- und Keuschheitsgesetz“. Die Reform sieht in ihrer jüngsten Fassung strenge Strafen bei Missachtung der Kleidungsregeln des Regimes vor. Wer künftig gegen die Kopftuchpflicht verstoßt, muss mit harten Strafen wie über 5.000 Euro Geldbußen, bis zu 15 Jahren Haft und Sozialstrafen rechnen, darunter Umerziehungskurse und Ausreisesperren. Ausländerinnen könnten des Landes verwiesen werden.
Für Geschäftstreibende und Museen sind Strafen wie Schließungen vorgesehen, sollten ihre Kundinnen das Hidschab-Gesetz nicht einhalten. Besonders hart sollen auch Prominente bestraft werden. Hier sieht der Entwurf bei Verstößen Berufsverbote von bis zu 15 Jahren vor. Die Regime-Justiz soll zudem ein Zehntel des Vermögens beschlagnahmen können. Protest im Netz wollen die Behörden ebenfalls unter Strafe stellen. Für die Online-Veröffentlichung von Fotos ohne Kopftuch etwa drohen Geldbußen und im Extremfall sogar Haftstrafen. Bei Beleidigung von verschleierten Frauen können bis zu sechs Monate Haft und 74 Peitschenhiebe verhängt werden.
Die iranische Regierung hatte das Gesetzesvorhaben bereits vor einem Monat angeschoben. Mit einem politischen Trick billigte eine Kommission die Strafreform ohne Abstimmung im Plenum des Parlaments. Als letzter Schritt wird die Reform nun noch dem Wächterrat vorgelegt, einem Kontrollgremium, dem erzkonservative Geistliche angehörigen.
Titelbild: Demonsration in Qamişlo/Nord- und Ostsyrien am 16. September 2023 anlässlich des ersten Todestages von Jina Mahsa Amini © ANHA