Die Lage der etwa 20 Millionen Angehörigen von Saisonarbeiter*innen in Nordkurdistan und der Türkei ist prekär. Der Generalsekretär der Land- und Forstarbeitergewerkschaft Tarım Orkam-Sen, Hamit Kurt, wirft der Regierung vor, jegliche Verbesserung der Situation zu blockieren.
Durch die ökonomische Krise hat sich die Lage für die Beschäftigten in der Landwirtschaft nochmals verschärft. „Heute gibt es in der Türkei keine Rechtsgrundlage für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft. Wir werden immer wieder auf das ‚Arbeitsgesetz‘ verwiesen. Die Regierung behauptet, dass deswegen kein weiteres Gesetz notwendig sei. Das Gesetz 4857 schließt zwar Saisonbeschäftigte ein, sie tauchen aber nur an einer Stelle auf. Es ist eher ein Gesetz, das den Tourismussektor betrifft. Wir haben einen Gesetzentwurf und bestehen auf einem Gesetz für Saisonarbeiter und ihre Familien“, sagt Kurt.
„Die Regierung wählt den Weg der Ausbeutung“
Dieser Gesetzentwurf würde für Erwerbstätige in der Landwirtschaft die Grundlage für Gesundheitsversorgung, Unterbringung, Transport und Organisierung legen. Bisher habe aber keine Regierung so ein Gesetz gewollt. Dies liege laut Kurt an einer „Kapitalfraktion“ in diesem Bereich, die von der Ausbeutung massiv profitiere. „Die Regierung will diese Fraktion nicht gegen sich aufbringen. Sie zieht die Ausbeutung vor. Wenn eine rechtliche Grundlage geschaffen würde, dann könnten sich die Beschäftigten gewerkschaftlich organisieren, Vereine bilden und Forderungen stellen.“
„Die Regierung will keine Organisierung“
Nach Angaben der türkischen Statistikbehörde gibt es in der Türkei und Nordkurdistan 4,5 Millionen Saisonarbeiter*innen. Bezieht man allerdings deren Familien in die Rechnung ein, so liegt die Zahl bei 20 Millionen. Kurt sagt, die Regierung wolle nicht, dass sich diese Menschen organisieren und ihre Rechte verteidigen. „In der Vergangenheit haben Saisonarbeiter Vereine gegründet. Wir haben gesehen, auf welche Weise diese Zusammenschlüsse angegriffen wurden. Für die Interessen des Kapitals werden diese Menschen systematisch vernachlässigt.“
„Keine Arbeitsunfälle, sondern Mord“
Zu den häufigen Todesfällen im Zusammenhang mit Saisonarbeit sagt Kurt: „Ständig gibt es Nachrichten, dass Transporter in Unfälle verwickelt sind. Gerade eben wurde berichtet, dass wieder zehn Landarbeiter gestorben seien. Das sind keine Unfälle, das sind Morde. In den vergangenen sieben Monaten sind 1098 Arbeiterinnen und Arbeiter ums Leben gekommen. Im Juni sind 154 Menschen gestorben, sieben davon Minderjährige. Jeden Morgen kommen durchschnittlich sieben neue Tote in die Leichenhalle. Die meisten der durch die Arbeitsbedingungen Ermordeten sind saisonal Beschäftigte. Wir sprechen hier von Menschenleben.“
Hamit Kurt schließt mit den Worten: „Jeder, der sich Mensch nennt, muss dagegen Widerspruch erheben. Wir werden von diesem Widerstand nicht ablassen, wir werden die Probleme als Gewerkschaft zur Sprache bringen und unseren Kampf für eine Gesetzesgrundlage fortsetzen.“