Hamburg: Organisierung, Widerstand und Aufbau in Kurdistan
Im Tatort Kurdistan Café in Hamburg haben Teilnehmerinnen zweier Delegationen nach Rojava und Nordkurdistan über ihre Erlebnisse und die aktuelle Situation berichtet.
Im Tatort Kurdistan Café in Hamburg haben Teilnehmerinnen zweier Delegationen nach Rojava und Nordkurdistan über ihre Erlebnisse und die aktuelle Situation berichtet.
Mit mehr als 80 Menschen war das Centro Sociale in Hamburg gestern Abend rappelvoll. Berichtet wurde im Tatort Kurdistan Café auf der Veranstaltung „Widerstand, Organisierung, Aufbau" über die Erfahrungen zweier Delegationen nach Nordkurdistan und Rojava/Nordostsyrien.
Um die Kommunalwahlen in der Türkei und Nordkurdistan zu beobachten, war eine Delegation aus Hamburg vor zwei Wochen im Gebiet Botan in den Städten Şirnex (Şırnak) und Silopiya (Silopi) sowie in Amed (Diyarbakır) unterwegs.
Sophia, die an der Delegation teilgenommen hat, berichtete, dass Strategie der HDP, in den türkischen Metropolen keine eigenen Kandidat*innen aufzustellen und somit die AKP aus dem Amt zu drängen, aufgegangen sei. In allen großen westtürkischen Städten hätte das Bündnis aus CHP und Iyi Partei die AKP überholt, obwohl die AKP eine sehr aggressive Wahlpropaganda gemacht hätte und allein die AKP in den Medien präsent war. „Viele hatten damit jedoch sehr große Bauchschmerzen, denn die CHP hatte im Parlament ja auch der Aufhebung der Immunität der Abgeordneten der HDP gestimmt“, erklärte Sophia, „In allen drei Städten, wurden viele auswärtige Soldaten als Wähler registriert. Festnahmen gehören dort zum Alltag. Wir haben Wahlbüros besucht und festgestellt, dass überall Busse von Soldaten angekarrt wurden. Die Bevölkerung wurde durch die Präsenz von bewaffneten Kräften eingeschüchtert.“
Über die aktuelle Situation berichtete Sophia, dass die AKP momentan versuche Neuwahlen in Istanbul durchzusetzen, dabei habe sie die Wahlen in Kurdistan selbst massiv manipuliert. Trotzdem konnten die meisten kurdischen Provinzen von den Zwangsverwaltern befreit werden.
„Dennoch ist die Hoffnung auf eine politische Lösung noch nicht ganz verschwunden“ so Sophia. Die Menschen in Bakur zeichneten sich durch eine große Entschlossenheit und Willensstärke aus, denn „sie haben ein revolutionäres Ziel“. Solidarität sei wichtig, auch international, um dieses Ziel zu erreichen.
Gemeinsam kämpfen in Rojava
Im Anschluss berichteten zwei Teilnehmerinnen der Delegation „Gemeinsam Kämpfen“, die sich fünf Monate in Rojava/Nordostsyrien aufgehalten hat.
Die Frauendelegation war Ende Oktober aufgebrochen, hatte zunächst einige Wochen in Südkurdistan in Silêmanî verbracht und dort Kontakte zur Frauenbewegung aufgebaut, bevor sie nach Rojava weiterreiste. Nach einer Rundreise über Kobanê, die neu befreiten Gebiete Minbic (Manbidsch), Tabqa, Raqqa und Ain Issa führte die Delegation Diskussionen mit der kurdischen Frauenbewegung und teilte sich dann in mehrere Gruppen auf, die an verschiedenen Orten Interviews und Gespräche mit Fraueneinrichtungen führten.
„Eigentlich ist der Begriff Rojava inzwischen überholt, denn mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Autonomiegebiete ist nicht kurdisch, sondern arabisch. Daneben gibt es auch viele weitere Kulturen und Sprachen“, sagte die Hamburger Ethnologin Anja Flach, die an der Delegationsreise teilgenommen hat. „Wir hatten die große Chance mitzuerleben, wie der Islamische Staat dort besiegt wurde und konnten an den Feiern der YPJ in Hesekê und der YPG in Qamişlo teilnehmen. Das war sehr beeindruckend. 11.000 Menschen haben ihr Leben in diesem Kampf verloren. Dabei waren 9000 von YPG und YPJ“, erklärte sie weiter, „Hätten sie sich nicht dem IS entgegengestellt, wäre der ganze Nahe und Mittlere Osten unter seine Kontrolle gekommen, das hätte auch Auswirkungen auf uns gehabt.“
Anhand von Karten und Bildern wurde die Lage in Nordsyrien dargestellt. „Frauen sind in allen Bereichen die Vorkämpferinnen, überall wurde das System der Ko-Vorsitzenden eingeführt. Für einige von uns war es das erste Mal, dass wir uns ausschließlich in Frauenstrukturen bewegt haben, und das hat uns gezeigt, wie notwendig autonome Frauenorganisierung und ein kollektives Leben ist“, berichte eine weitere Delegationsteilnehmerin.
Weitere Veranstaltungen von Teilnehmerinnen der Delegation „Gemeinsam Kämpfen“ werden in den nächsten Tagen stattfinden, unter anderem am Freitag in Kiel und am 16. April erneut im Centro Sociale.