Unter dem Motto „Jin Jiyan Azadî – Ein Jahr Kämpfe und Aufstände im Iran“ fand am Sonntagabend das monatliche „TATORT Kurdistan Café“ im Centro Sociale in Hamburg statt. Eingeladen waren Medya Rojhilat und Sema Balouch. Sie gaben den interessierten Zuhörer:innen Einblick in die Proteste in Iran und die besondere Rolle der Kurd:innen, Belutsch:innen und Frauen in der Revolution.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einer Mobilisierung für die Demonstration am 16. September in Hamburg anlässlich des Jahrestags der Ermordung von Jina Mahsa Amini in Teheran. Hierbei wurde dazu aufgerufen, sich an dem Protest um 12 Uhr (Beginn Sternschanze) zu beteiligen.
Anschließend gab die Referentin Sema Balouch einen Überblick über die für viele Menschen unbekannte Geschichte Belutschistans. Diese sei eine Geschichte der Kolonialisierung, aber auch des enormen Widerstandes gegen Unterdrückung. Durch die britische Kolonialisierung wurde Belutschistan zwischen den Staaten Iran, Afghanistan und Pakistan aufgeteilt. Die belutschische Bevölkerung kämpfe schon lange gegen Diskriminierung und Assimilation und nehme auch in den aktuellen Protesten in Iran eine besondere Rolle ein. Sema Balouch fasste zusammen, dass insbesondere in Belutschistan und in Kurdistan die Proteste gegen das iranische Regime stark und kämpferisch seien.
Die Referentin Medya Rojhilat gab einen Einblick, mit welchen perfiden Methoden das iranische Regime in den letzten 40 Jahren versucht, Frauen vollständig aus der Gesellschaft zu verdrängen. Hierbei greife das Regime auf extreme Repressionen, körperliche und psychische Folter zurück: „Wenn Frauen anfangen sich selber zu verteidigen, dann wird ihnen ihre psychische Gesundheit abgesprochen und sie werden für psychisch krank erklärt.“ Insbesondere versuche das Regime, Angst zu verbreiten und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu spalten. Viele Frauen würden im Gefängnis umgebracht oder nach der Entlassung zu Hause an den Folgen der Folter sterben, schilderte die Referentin.
Der Widerstand bestehe vor allem aus der Solidarität der unterschiedlichen Menschen untereinander und richte sich gegen Spaltungsversuche. Dies bezeichnete Medya Rojhilat als „eine Revolution innerhalb der Revolution“. Es habe einen Mentalitätswandel in der Gesellschaft gegeben, der dazu geführt habe, dass für die Protestierenden das Gemeinsame im Vordergrund stehe.
Sema Balouch erzählte auch von der Methodik des Regimes, die Proteste auf das Thema des Hidschab zu beschränken. Sie berichtete, dass darauf die Frauen in Belutschistan erwiderten: „Ob mit oder ohne Hidschab – wir gehen Richtung Revolution.“ Dies zeige für sie das tiefe Verständnis von Freiheit, welches die Frauen im Iran teilen. Obwohl die Regierung versuche, den Protest zu stoppen, seien die Menschen weiterhin auf der Straße.
Auf die Frage, warum die Menschen insbesondere in den kurdischen Gebieten so organisiert seien, antwortete Medya Rojhilat, dass dies mit ihren Unterdrückungserfahrungen, langer Organisierungserfahrung und dem Verständnis der Frau als Vorreiterin der Revolution zu tun habe. Durch die kurdische Frauenbewegung habe es schon lange vor den aktuellen Protesten eine Veränderung im Bewusstsein der kurdischen Bevölkerung gegeben.
Zum Abschluss der Veranstaltung erläuterten die beiden Referentinnen ihre Gedanken darüber, was es brauche, um die Revolution fortzuführen und zu unterstützen. Hierbei bedarf es eine Veränderung der Mentalität und gegenseitige Solidarität wie auch Verständnis für die jeweils unterschiedlichen schmerzhaften Erfahrungen, so Sema Balouch. Medya Rojhilat betonte, dass auch in Europa die Frauen nicht befreit seien und dass das Patriarchat als globales Herrschaftssystem auch gemeinsam angegriffen werden müsse. Dies bedeute neben der Befreiung der Frau auch die Befreiung des Mannes, fasste sie zusammen.
Anja Flach wies am Ende der Veranstaltung auf die wirtschaftlichen Verstrickungen Deutschlands mit dem iranischen Regime hin: Deutschland sei weltweit der drittwichtigste und in der EU der wichtigste Wirtschaftspartner Irans. Außerdem machte sie auf eine Infoveranstaltung am 10. September um 18.30 Uhr im Hamburger Centro Sociale aufmerksam, bei der es um den Fall des kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz geht.