„Gefährlicher Präzedenzfall“: Kampagne gegen Abschiebung

Gegen die drohende Abschiebung von Muhiddin Fidan in die Türkei ist eine Kampagne gestartet worden. Der Kurde befindet sich weiterhin in Darmstadt in Abschiebehaft, ein Psychiater hat das hohe Suizidrisiko bestätigt.

Der am Freitag in Kassel festgenommene Kurde Muhiddin Fidan befindet sich weiterhin in Abschiebehaft. Wie die Initiative „Freiheit für Muhiddin“ mitteilt, wurde der seit 27 Jahren in Deutschland lebende fünffache Familienvater heute in der Haftanstalt in Darmstadt von einem Psychiater besucht. Sein Gesundheitszustand habe sich in der Abschiebehaft zunehmend verschlechtert, der Psychiater habe das hohe Suizidrisiko bestätigt.

„Muhiddin Fidan soll abgeschoben werden, obwohl er akut suizidgefährdet ist. Er leidet schon lange unter der Unsicherheit und der drohenden Gefahr, von seiner Familie getrennt und in der Türkei politisch verfolgt zu werden“, erklärt die Initiative, die die Abschiebung in die Türkei mit einer Kampagne verhindern will und einen Blog eingerichtet hat.

Die Kampagne wird von Organisationen wie Pro Asyl und dem Bayrischen Flüchtlingsrat unterstützt, der Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger bewertet die drohende Abschiebung von Muhiddin Fidan als gefährlichen Präzedenzfall: „Das politische, legale Engagement von Muhiddin Fidan im kurdischen Gesellschaftszentrum Kassel, das ein eingetragener, legaler Verein ist, wird von den Behörden als ,Terrorismusunterstützung' gesehen. Muhiddin organisierte im kurdischen Verein Integrationshilfe, gab kurdische Tanzkurse, organisierte angemeldete Demonstrationen. Für das Ausländeramt ist das Terrorismus.“ Die Begründung der Behörden, die Interessen des deutschen Staates seien wichtiger als die Interessen des Geflüchteten, könne künftig gegen alle politisch Aktiven zur Rechtfertigung einer Abschiebung verwendet werden, warnt Schamberger und ruft dazu auf, die drohende Abschiebung von Muhiddin Fidan mit allen Mitteln zu verhindern.


Offener Brief: Stoppen Sie die Abschiebung von Muhiddin Fidan!

Die Initiative „Freiheit für Muhiddin“ hat einen offenen Brief veröffentlicht, der per Email an [email protected] unterzeichnet werden kann. In dem Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser, den hessischen Innenminister Peter Beuth, den hessischen Minister für Soziales und Integration, Kai Klose, und das Regierungspräsidium Kassel wird mit Verweis auf das Grundgesetz die Beendigung des Abschiebeverfahrens gefordert und der Hintergrund dargestellt:

„Nach 27 Jahren in Deutschland soll der Familienvater Muhiddin Fidan aus Kassel in die Türkei abgeschoben werden und damit in die Fänge des türkische Autokraten Erdogan geraten. Am Freitag, den 30 Juni, wurde der politisch aktive Kurde festgenommen und befindet sich seitdem in Abschiebehaft in Darmstadt. Seine Frau und seine fünf Kinder im Alter von vier bis 16 Jahren haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit Freitag bangen sie ununterbrochen um ihren geliebten Mann und Vater. Wir wenden uns mit diesem Brief nun an Sie mit der dringenden Bitte, alles Ihnen Mögliche zu tun, um den sofortigen Stopp des Abschiebeprozesses von Muhiddin Fidan zu erwirken.

1996 musste Muhiddin als 13-Jähriger nach Deutschland fliehen, da er in der Türkei bereits in jungen Jahren als Kurde politisch verfolgt wurde. Noch im Jahr 2011 bekam Muhiddin ohne Probleme eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Im Jahr 2015 musste er dann unerwartet in der Ausländerbehörde vorsprechen. Damals wurde ihm versichert, dass die Prüfung schnell gehen würde und er in spätestens sechs Wochen den neuen Bescheid ausgestellt bekommen würde. Stattdessen erhielt Muhiddin erst nach sechs Jahren – im Jahr 2021 – den Bescheid. Zur Verwunderung aller war dieser nicht wie in den Jahren zuvor positiv.

Der vorgeschobene Grund für den negativen Bescheid für den jungen Familienvater: er gehöre Organisationen an, die den Terrorismus unterstützten. Tatsächlich gemeint war hierbei sein gesellschaftliches und politisches Engagement für den legalen, eingetragenen Verein Navenda Civaka Kurdistan, einem gemeinnützigen kurdischen Kulturverein in Kassel. In diesem war er nicht – wie von den Sicherheitsbehörden fälschlicherweise behauptet – an terroristischen Aktivitäten beteiligt. Vielmehr engagierte Muhiddin sich in der Vergangenheit in der Integrationshilfe, organisierte Veranstaltungen zum kurdischen Volkstanz und unterstützte bei der Vorbereitung genehmigter Demonstrationen, die sich auch gegen die Diskriminierung und Unterdrückung kurdischer Menschen in der Türkei richteten. Wegen keiner dieser Aktivitäten wurde Muhiddin jemals vor Gericht gestellt, denn sie sind nicht strafrechtlich relevant. Während deutsche Behörden diese Aktivitäten kriminalisieren und als Grund für Abschiebungen nutzen, werden kritische Stimmen aus der deutschen Politik und Öffentlichkeit gegenüber dem AKP-Regime akzeptiert.

Bereits in der Vergangenheit haben die türkischen Behörden ein ungerechtfertigtes Ermittlungsverfahren gegen Muhiddin eingeleitet sowie Haftbefehl. Sollte Muhiddin in die Türkei abgeschoben werden, erwartet ihn die sofortige Überstellung an die türkischen Behörden und damit weitreichende Konsequenzen für ihn und sein Leben wie Vernehmungen, Haft und Folter.

Darüber hinaus hat die Abschiebehaft und drohende Abschiebung jetzt schon gravierende Folgen und enorme psychische Belastungen für Muhiddin Fidan, seine Frau, seine Kinder, sowie Eltern und Geschwister. Die Abschiebung von Muhiddin würde dem im Grundgesetz verankerten Schutz der Familie widersprechen. Dadurch würden den fünf minderjährigen Kindern mit deutscher Staatsbürgerschaft das Recht auf ihren Vater genommen werden. Eine Abschiebung würde die gesamte Familie auseinanderreißen. 

Mit Verweis auf das Grundgesetz erinnern wir Sie daran, dass eine friedliche politische Betätigung sowie ehrenamtliches Engagement in einem demokratischen Staat wie Deutschland kein Abschiebegrund sein darf. Sollte es gängige Praxis werden, dass schutzsuchende Menschen ausgewiesen werden, sobald sie sich politisch engagieren, sehen wir die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr. Wir fordern Sie daher auf, sich sofort und mit allen Mitteln gegen die Abschiebung einzusetzen.“