Gedenken an Agir Stêrk und Mehmet Axîn in Celle

Bei einer Gedenkveranstaltung in Celle wurden Ausschnitte aus dem Leben von Agir Stêrk gezeigt, in denen er Lebensfreude und auch Entschlossenheit ausstrahlte. Hunderte Menschen sind im ezidischen Kulturzentrum zusammengekommen, um an ihn zu erinnern.

Am Sonntag hat eine Veranstaltung in Gedenken an Agir Stêrk (Abdullah Osmanoğlu) und Mehmet Axîn (Renas Benek) stattgefunden. Beide sind am 17. Dezember 2018 bei einem Luftangriff der türkischen Armee in den Medya-Verteidigungsgebieten in Südkurdistan ums Leben gekommen.

Die Gedenkveranstaltung fand im Ezidischen Kulturzentrum in Celle statt, wo der Genosse Agir Stêrk in der kurdischen Jugendbewegung und im Volksrat arbeitete. So haben viele seiner Freundinnen und Freunde der Veranstaltung teilnehmen und ihre Erinnerungen teilen können. Mit etwa 200 Personen kamen Freund*innen, Verwandte und Bekannte aus ganz Norddeutschland zusammen, um die Gefallenen Kurdistans mit einem ehrenvollen Gedenken zu würdigen.

Die Veranstaltung begann mit einer Schweigeminute und einer anschließenden Begrüßung besonders an die anwesenden Familienangehörigen. In der Begrüßung wurde unter anderem erklärt, dass es der wertvollste Verlust ist, einen Bruder, Sohn und Freund zu verlieren: „Die Gefallenen zeigen uns den Weg, wir wollen ihre Träume verwirklichen“.

Anschließend wurden viele Redebeiträge vorgetragen. Der Ko-Vorsitzende des Volksrats Celle, Șêx Behçet, betonte, dass alle Gefallenen gleich bedeutend seien, aber er sich besonders von dem Freund Agir Stêrk verabschieden möchte, den er gut kannte.

Apê Hisên von der Kommission der Familien der Gefallenen hob in seiner Rede die schwere Last der Familien in diesem Kampf hervor, aber auch das Versprechen, für die Ziele der Gefallenen weiter zu kämpfen und sie nicht zu vergessen.

Teil der Veranstaltung war auch ein kurzer Film zu den beiden Gefallenen. Gefüllt wurde dieser mit Bildern und Videos aus ihrem Leben und einer Selbstvorstellung von Agir Stêrk in Guerillakleidung den Bergen Kurdistans. Es fiel auf, dass er auf allen Bildern im Kreis seiner Freund*innen und Verwandten mit leuchtenden Augen lachte. Es gab viele Ausschnitte aus seinem Leben zu sehen, in denen er Lebensfreude und auch Entschlossenheit ausstrahlte.

Ein Aktivist der Tevgera Cîwanên Şoreşger (TCŞ) betonte die notwendige Verantwortung der Jugend: „Heval Agirs Entscheidung, für die Freiheit, das kurdische Volk und die Jugend zu kämpfen, war eindeutig. Er hat nicht gezögert, sondern war bereit sich für diese Ziele zu opfern. Alle unserer Gefallenen übernahmen diese Verantwortung. Wir wollen auf ihren Spuren wandeln und ihrer gedenken.“

Auch zwei Schwestern von Agir Stêrk teilten ihre Erinnerungen an ihren zweitältesten Bruder. „Er war ein sehr optimistischer Mensch mit einem sehr großen Herz und er war uns in unserer Kindheit mit seinem Dasein eine große Stütze. Nun hinterlässt er eine große Lücke in unseren Herzen.“ Auch betonten sie, dass er sich immer mit vielen Menschen verbunden habe.

So verbrachte er während seiner Arbeit in Celle auch viel Zeit mit Internationalist*innen. Sie diskutierten viel mit ihm und bewunderten seine klare Entscheidung, sich der Befreiungsbewegung anzuschließen. Einige von ihnen sangen gemeinsam für ihn das Lied „Wenn der Morgen kommt“ mit einer eigenen Strophe:

Und wenn der Morgen kommt in Kurdistan

Und wenn der Morgen kommt in Kurdistan

Dann wird in den Bergen auch endlich Freiheit sein,

und bleibt kein Zorn mehr übrig.

Agir liebte Musik und man konnte ihn bei fast jeder Gelegenheit summen oder singen hören. Und so gab es auch einen musikalischen Beitrag von dem Künstler Rotinda, welcher zu den Lieblingssängern Agirs gehört hat. Er trug unter anderem sein Lieblingslied „Navê min Agit e“ vor. Er hob hervor, dass die Mütter der Gefallenen die größte Last tragen und widmete ihnen ein weiteres Lied.

Zum Ende hin las ein weiterer Freund von Agir Stêrk einen Text mit dem Titel „Azadî cî ye? – Was ist Freiheit?“ vor, den Agir selbst verfasst hatte. In dieser Notiz schrieb er: „Frage dich: Wie frei bin ich? - Wenn du dann aber fühlst, dass du nicht frei bist, dann unternimm was dagegen, auch wenn du alles auf den Kopf stellen musst. Und wenn du frei bist, dann geh raus in die Welt und stecke alle damit an. Verbreite es, als wäre es ein Virus und ziehe jeden in deinen Bann.“

Eine kurdische Mutter aus Celle erinnerte sich unter Tränen an Agir Stêrk und sagte, er sei für sie wie ihr eigener Sohn gewesen. „Wir sollten ihn nicht vergessen und vor allem seinen Widerstand nicht. Wir sind stolz auf ihn, als kurdische Frauen, als der Volksrat von Celle. Wir vergessen ihn nicht.“

Die Veranstaltung brachte zum Ausdruck, dass Agir Stêrk auch in Deutschland viele Spuren hinterlassen hat. Für alle Anwesenden war klar, dass sein Kampf weitergeführt werden muss: So bleiben Agir, Mehmet und all die anderen Gefallenen in der Erinnerung und im Widerstand lebendig und werden nicht vergessen.

Im Anschluss an das Programm teilten mehrere Bekannte von Agir ihre Erinnerungen und Gefühle mit den Besucher*innen der Gedenkveranstaltung. So wurde unter anderem das Gedicht „Stimmung eines Herzens“ von Atakan Mahir vorgelesen:

Wenn ich eines Tages falle, lang hinschlage

du vor meiner Leiche

dem Schrei des Krieges nicht erschreckst -

beuge dich über mich und küsse mich.

Wie vertrocknete Erde nach Wasser dürstet

zärtlich wie die Mutter die Hand nach der Wiege streckt

wie die gläubige Hand die Ikone berührt

voller Sehnsucht wie der Regentropfen auf die Erde fällt;

wie die Geliebte…

Nimm an, ich wär ein Roma-Kind

wie ein geflicktes Bündel auf dem Rücken der Mutter

halbnackt, vertrieben, auf Wanderschaft.

In der Hand ein Stück Brot

gerade aus dem Müll gezogen

Hände und Gesicht voll Schmutz

Sauberkeit nicht weiß, voller Sehnsucht nach Wasser

in meinem Herzen

eine Leere...

Nimm an, ich wär ein Koloniekind

in einer großen Steppe

barfüßig

leicht gebeugt, leicht beleidigt

etwas rebellisch

und wieder in meinem Herzen

eine Leere…

Nimm an, ich wär so furchtbar einsam

Bedürftig nach einer Umarmung

Beuge dich über mich und küsse mich.

Auch wenn mein Leib nicht nach Rosen

sondern wie die leeren

zerstörten

verbrannten Dörfer Kurdistans

ohne Fußspuren von Kindern

nach Asche riecht -

vergessen auf den Seiten des Krieges

Auch wenn ich nicht in weiße Seide gehüllt bin

sondern in der Echtheit und Nacktheit der Natur

Wenn ich zum Beispiel gefallen bin

Und zwar im Krieg

Von meinem Körper dir

Mein Herz, mein Gedanke

mein Körper wie ein Frühlingsblatt bleibt

Oder:

ein Teil meines Gesichtes.

Wenn du dich nicht erschreckst,

dann beuge dich über mich und küsse mich

weine jedoch nicht.

Schlage deine Waffe an meine

deine Faust soll in meiner fest bleiben

Sieh das Leuchten meiner Augen als deinen Pfad

Lass meine ewige Ruhe deine Hoffnung auf Sieg werden

Du wirst sagen ein Blatt der Eiche ist gefallen

Du wirst es aufheben und riechen

Dein Herz wird vielleicht Schmerzen.

Aber so viel soll dir zumutbar sein, Genosse!

Vergesse nicht,

wir sind keine Guerilla aus der Zeit Jesu,

sondern die aus der Zeit des Weltraums.

Weder Spartakus hat wie wir gelebt

Noch Che wie wir gekämpft

Ohne Zweifel werden unsere Körper eine Gegenleistung

Für die Botschaft eines blauen Himmels ohne Wolken

Dafür sollen sie sein, Genosse!

Der Griff nach der Sonne ist nicht nur nah

wir haben sie endlich ergriffen

Die Morgendämmerung gehört nun uns

Unser Lied spielt unendlich lang

Die Berge tanzen im Kreis

Unsere Kinder sind verrückt wie der Wind

Schau:

Aus Dörfern ist sogar der Hahn zu hören

die Farben unserer Fahne tönen die Wolken

nicht der Regenbogen spannt über Kurdistan

das neue Leben ist es -

Die Freiheit soll deine sein, Genosse!