Frauen demonstrieren für abgesetzte Bürgermeisterin

In Istanbul und Amed haben Frauen mit der Parole „Jin Jiyan Azadî“ gegen die Suspendierung kurdischer Bürgermeister:innen und die Ernennung von Zwangsverwaltern durch das türkische Innenministerium protestiert.

Jin Jiyan Azadî

Frauenorganisationen in der Türkei protestieren gegen die Suspendierung kurdischer Bürgermeister:innen und die Ernennung von Zwangsverwaltern durch das Innenministerium. In mehreren Städten gingen Frauen heute auf die Straßen und riefen „Jin Jiyan Azadî“ (Frau Leben Freiheit), um sich mit der abgesetzten Bürgermeisterin Gülistan Sönük zu solidarisieren.

Aktivistinnen der Bewegung freier Frauen (TJA) demonstrierten in Amed (tr. Diyarbakir) mit der Forderung „Zwangsverwalter raus aus Kurdistan!“, das Bündnis „Frauen sind gemeinsam stark“ rief zu Protesten im Istanbuler Stadtteil Kadiköy auf und wurde von einem großen Polizeiaufgebot umstellt.

Demonstration für abgesetzte Bürgermeisterin in Istanbul

Eine Sprecherin sagte im Polizeikessel: „Wir sind heute hier, um gegen die Usurpation des Willens der Bevölkerung und der Frauen zu protestieren. Dieselbe Mentalität, die Frauenrechte nicht anerkennt und uns zu unterdrücken versucht, erkennt auch den Wählerwillen der kurdischen Bevölkerung nicht an. Als Frauen sagen wir mit lauter Stimme: Nein zur Zwangsverwaltung!“

Unterdessen wurden Journalist:innen von der Polizei zurückgedrängt. Die Sprecherin erklärte weiter, dass das Bündnis „Frauen sind gemeinsam stark“ sich an die Seite der Frauen in den unter Zwangsverwaltung gestellten Gemeinden stellt.

„Gülistan Sönük ist unser Wille“

Gülistan Sönük: Sieg der „Jin Jiyan Azadî“-Philosophie

Die DEM-Politikerin Gülistan Sönük ist im März in Êlih (Batman) mit fast 65 Prozent der Stimmen zur Ko-Bürgermeisterin gewählt worden. Im Wahlkampf hatte sich die DEM von dem zuvor aufgestellten Ko-Bürgermeisterkandidaten wegen grundlegender Meinungsverschiedenheiten getrennt. Die DEM ist überall mit Ko-Kandidat:innen angetreten, das Prinzip der genderparitätischen Doppelspitze gilt in allen Parteigremien. Die islamistische Hüda Par kam in Êlih auf 15 Prozent, die regierende AKP nur auf zwölf Prozent. Gülistan Sönük erklärte bei der Wahlfeier, dass die „Jin Jiyan Azadî“-Philosophie über die IS-Mentalität gesiegt habe.

Doppelspitzensystem in kurdischen Gemeinden

Das System der Ko-Bürgermeister:innen wurde 2014 von einem türkischen Gericht als gesetzeswidrig erklärt. Als nach dem Putschversuch von 2016 die Bürgermeister:innen in fast allen kurdischen Kommunen festgenommen und durch Zwangsverwalter ersetzt wurden, wurde das Doppelspitzensystem als einer der Gründe dafür angeführt. Der türkische Staat erkennt nur eine Person als Bürgermeister:in an.

Seit acht Jahren Zwangsverwaltung in der Türkei

Die von der DEM und ihrer Vorgängerpartei HDP regierten Städte und Gemeinden werden seit acht Jahren nach jeder Kommunalwahl vom türkischen Innenministerium unter Zwangsverwaltung gestellt. Viele Bürgermeister:innen wurden verhaftet, Dutzende von ihnen leben inzwischen im Exil in Europa.

Fünf kurdische Bürgermeister:innen abgesetzt

Der erste verhaftete Bürgermeister nach den Wahlen am 31. März 2014 war der kurdische DEM-Politiker Mehmet Sıddık Akış in Colêmerg (Hakkari), der im Juni in einem politischen Prozess zu fast zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde.

In der vergangenen Woche ist der Bürgermeister des Istanbuler Stadtbezirks Esenyurt, Ahmet Özer (CHP), als angebliches Mitglied einer Terrororganisation suspendiert und verhaftet worden. Das Rathaus von Esenyurt wurde unter Zwangsverwaltung gestellt, das türkische Innenministerium ernannte den stellvertretenden Gouverneur von Istanbul zum Treuhänder. Esenyurt ist ein großer Bezirk, in dem viele Kurdinnen und Kurden leben. Auch der CHP-Politiker Ahmet Özer ist Kurde, ihm werden vermeintliche Verbindungen zur PKK vorgeworfen.

Am Montag sind neben Gülistan Sönük in Êlih die DEM-Bürgermeister Ahmet Türk in Mêrdîn (Mardin) und Mehmet Karayılan in Xelfetî (Halfeti) des Amtes enthoben worden. Der frühere Parlamentsabgeordnete Ahmet Türk ist in der Provinzhauptstadt Mêrdîn bereits zum dritten Mal zum Oberbürgermeister gewählt und durch einen staatlichen Zwangsverwalter ersetzt worden.