EuGH: Italien darf Rettungsschiffe nicht grundlos kontrollieren

Schiffe von Seenotrettungsorganisationen dürfen für Kontrollen festgehalten werden. Dies gilt aber nur, wenn eine eindeutige Gefahr vorliegt. Das hat der Europäische Gerichtshof im Fall von Rettungsschiffen der Hilfsorganisation „Sea-Watch“ entschieden.

Behörden dürfen Schiffe humanitärer Organisationen künftig nur noch aus triftigem Grund kontrollieren. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Montag in Luxemburg entschieden. „Das Urteil stellt nicht nur für uns einen Sieg dar, sondern für alle zivilen Seenotrettungsschiffe, die im zentralen Mittelmeer Menschen vor dem Ertrinken bewahren“, erklärte Sea-Watch nach der Entscheidung in Berlin.

Über Monate hinweg hatte Italien im Sommer 2020 zwei Rettungsschiffe von Sea-Watch festgehalten – die „Sea-Watch 3“ und die „Sea-Watch 4“. Die italienischen Behörden begründeten den Schritt damit, dass die Schiffe nicht dafür ausgerüstet seien, mehrere hundert Menschen an Bord zu haben und das Abwassersystem nicht für die Anzahl möglicher geretteter Personen ausgelegt sei. Beide Schiffe fuhren, als Frachter zertifiziert, unter deutscher Flagge Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer.

Aus Sicht von Sea-Watch handelte es sich beim Vorgehen der italienischen Behörden um Willkür und „fadenscheinige“ Argumente. Die Hilfsorganisation hatte deshalb beim regionalen Verwaltungsgericht in Sizilien zwei Klagen auf Nichtigerklärung dieser Maßnahmen erhoben. In diesem Rahmen machte Sea-Watch geltend, dass die Hafenbehörden die den Behörden des Hafenstaats zustehenden Befugnisse überschritten hätten. Das italienische Gericht legte dem EuGH daraufhin Fragen zur Vorabentscheidung vor, um den Umfang der Kontroll- und Festhaltebefugnisse des Hafenstaats in Bezug auf Schiffe zu klären, die von humanitären Organisationen betrieben werden.

EuGH: Seenotrettung völkerrechtliche Pflicht

Darüber hat dieser nun entschieden. Dem Urteil zufolge dürfen Staaten zwar grundsätzlich auch Schiffe humanitärer Organisation kontrollieren. Für eine Kontrolle müssten die Behörden aber detailliert nachweisen, „dass belastbare Anhaltspunkte für eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt vorliegen“. Der EuGH betonte, dass es im Völkerrecht die Pflicht gebe, Personen in Seenot zu helfen. Menschen, die nach einem Rettungseinsatz an Bord seien, müssten bei Sicherheitsüberprüfungen außer Betracht bleiben. „Die Anzahl der Personen an Bord, selbst wenn sie weit über der zulässigen Anzahl liegt, kann daher für sich genommen keinen Grund darstellen, der eine Kontrolle rechtfertigt“, teilte der EuGH mit. Nachdem die Geretteten von Bord gegangenen seien, dürfe der Hafenstaat das Schiff jedoch kontrollieren.

Sea-Watch: Hafenstaatkontrollen an NGO-Schiffen sind wichtig

Sea-Watch wertet das als Erfolg: „Dass Hafenstaatkontrollen weiterhin an NGO-Schiffen stattfinden dürfen, ist gut so. Denn sie sollen der Schiffssicherheit dienen, an der auch uns sehr viel liegt“, teilte die Hilfsorganisation auf Twitter mit. Anlass der Klage sei allein die Willkür der Kontrollen gewesen. Nach dem Grundsatzurteil des EuGH muss nun ein italienisches Gericht in dem konkreten Fall entscheiden. Sea-Watch rechnet damit, dass der Prozess vor dem Gericht in Palermo im Herbst weitergehen könnte.

Titelfoto: Sea-Watch | Nora Boerding