Wie aus Recherchen des Bayerischen Rundfunks (BR) hervorgeht, benutzt die griechische Polizei Schutzsuchende als Vollstrecker illegaler Pushbacks. Immer wieder sterben Menschen bei den Zurückweisungen am Evros und im Mittelmeer. Die griechische Polizei will sich dabei offenbar nicht selbst die Hände schmutzig machen und benutzt deshalb Schutzsuchende gegen Schutzsuchende.
150 illegale Zurückweisungen pro Nacht
Ein Schutzsuchender, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muss und unter dem Pseudonym Bassel auftritt, erklärt gegenüber BR, die griechischen Sicherheitsbehörden hätten ihn dazu gezwungen, Frauen, Männer und Kinder in Schlauchboote zu pferchen und sie illegal über den griechisch-türkischen Grenzfluss Evros in die Türkei zurückzubringen. Es habe sich um bis zu 150 Schutzsuchenden pro Nacht gehandelt. Er sei dabei maskiert gewesen und habe teilweise auch Gewalt einsetzen müssen.
Von der Polizei erpresst und zum Raub angestachelt
Er sei von der griechischen Polizei erpresst worden, sagt er. Die Polizei habe ihm mit langer Inhaftierung und Abschiebung in die Türkei gedroht, wenn er sich nicht an den Pushbacks beteilige. Für eine dreimonatige Kollaboration sei ihm ein befristeter Aufenthalt in Griechenland in Aussicht worden. Er berichtet weiter, ihm sei gesagt worden, die „Arbeit“ sei unbezahlt, aber er könne sich von den Habseligkeiten der Schutzsuchenden aussuchen, was er wolle. Auch zwei weitere Geflüchtete berichten von solchen Angeboten bei der Rekrutierung und von Misshandlungen, die folgten, wenn bei einem Einsatz etwas schief ginge. Bassel führt weiter aus: „Diese Arbeit ist sehr gefährlich, auch wegen der feindlichen Haltung zwischen Griechenland und Türkei.“ Polizeiquellen bestätigen, dass die Gefahr mitunter der Grund für den Einsatz von Schutzsuchenden sei.
Drei Syrer, die in einer anderen Polizeistation, in Neo Cheimonio, festgehalten wurden, erzählten eine ähnliche Geschichte. Alle hatten bis zu 5.000 Euro an einen Istanbuler Mittelsmann gezahlt, um über einen Schmuggler nach Griechenland zu gelangen. Er hatte ihnen gesagt, dass ein Syrer mit der griechischen Polizei auf sie warten würde. Sie waren entsetzt, als sie feststellten, dass man von ihnen verlangte, im Austausch für ihre eigene Überfahrt Schutzsuchende zurück in die Türkei zu rudern.
Entweder kollaborieren oder „verschwinden“
Einer von ihnen, Farhad, sagte, sie würden regelmäßig von einem Syrer bedroht, der sich „Mike“ nannte und in Neo Cheimonio arbeitete, wo er die Polizei bei illegalen Pushbacks unterstützte sowie Asylsuchende für diese Aufgabe rekrutierte und befehligte. Farhad meinte, er habe sich zunächst geweigert, mitzumachen, doch dann habe „Mike“ ihm gesagt, er riskiere nicht nur, sein Geld zu verlieren, sondern auch zu „verschwinden“, wenn er nach Istanbul zurückkehre.
„Mike“, der auf dem Gelände der Polizeiwache wohne, durchsuchte aufgegriffene Schutzsuchende am Flussufer, bevor sie zurückgeschickt wurden. Den Aussagen zufolge hatte er es besonders auf Goldschmuck abgesehen und wurde gewalttätig, wenn die Menschen ihre Wertsachen nicht herausgaben.
Tiefgreifende Recherche
Im Rahmen der Recherche wurde diese Praxis der Behörden auf viele Weisen überprüft. So konnten die beteiligten Schutzsuchenden unabhängig voneinander interne Dienstabläufe und Lagepläne der Polizeistation in Tychero am Evros beschreiben. Gleichzeitig decken sich die Angaben mit den Aussagen von Betroffenen der Zurückweisungen. Auch Quellen aus Polizeikreisen untermauern die Vorgehensweise. Offenbar wurde 2020, als der türkische Diktator Erdoğan die Schutzsuchenden zur Grenze treiben ließ, die Praxis intensiviert.
„Ein abscheuliches Resultat der EU-Abschottungspolitik“
Diese Art von Abweisungen sind illegal, da den Menschen die Möglichkeit gegeben werden muss, einen Asylantrag zu stellen. Die fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Clara Anne Bünger, bezeichnet die Instrumentalisierung von Schutzsuchenden für illegale Zurückweisung in die Türkei als „abscheuliches Resultat der EU-Abschottungspolitik!“ Insbesondere Deutschland drückt beide Augen zu, wenn es um menschenrechtswidrige Praktiken an den EU-Außengrenzen geht. Durch die unfaire Dublin-Regelung, bei der Schutzsuchende meist Asyl in dem Land beantragen müssen, in welchem sie zuerst ankommen, sind viele Menschen der Willkür der griechischen Behörden ausgeliefert, während die reichsten Staaten im Kern der EU nur einen Bruchteil der Unterstützung leisten.