EU-Türkei-Deal und Covid-19: Ultimative Aufforderung zum Handeln

Seit vier Jahren besteht das EU-Türkei-Abkommen. Anlässlich dieses Jahrestags veröffentlichen NGOs und Vereine eine Erklärung, in der sie das Abkommen scharf kritisieren und auch die aktuelle Pandemie thematisieren.

Während in Nordkurdistan ganze Städte vom Erdoğan-Regime dem Erdboden gleich gemacht wurden, vereinbarte die EU unter Federführung Deutschlands am 18. März 2016 das EU-Türkei-Abkommen, das die Türkei nicht nur als sicheren Drittstaat qualifiziert, sondern auch ‒ gegen Milliardenzahlungen ‒ das Festhalten von Millionen von Schutzsuchenden in der Diktatur vorsieht. Seitdem leben Millionen Schutzsuchende unter katastrophalen Bedingungen in der Türkei. Zum Jahrestag des Abkommens haben sich nun zahlreiche Vereine, Initiativen und NGOs in einem Appell an die europäische Öffentlichkeit gewandt. Sie kritisieren die derzeitige Eskalation auf den griechischen Inseln und an der griechisch-türkischen Grenze als das „absehbare Ergebnis einer jahrelangen desaströsen Politik“. Außerdem sei die drohende humanitäre Katastrophe durch einen möglichen Ausbruch des Covid-19-Virus in den Flüchtlingslagern eine „ultimative Aufforderung zu sofortigem Handeln".

Menschen in Lagern sind schutzlos der Pandemie ausgeliefert

In der Erklärung heißt es: „Die EU hat mit ihrer Flüchtlingspolitik der letzten Jahre eine Situation geschaffen, in der jetzt zehntausende Menschen in den Flüchtlingslagern schutzlos der Pandemie ausgeliefert sind ‒ unter katastrophalen hygienischen Bedingungen und ohne jede medizinische Infrastruktur. Die Verantwortlichen müssen jetzt sofort handeln und ihre katastrophalen Fehler korrigieren. Die Flüchtlingslager müssen sofort evakuiert werden und der Schutz und die medizinische Versorgung der Menschen sichergestellt werden", so Ramona Lenz von der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international.

Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention

„Wir erleben eine Verletzung grundlegender Menschenrechte, dem Europarecht und der Genfer Flüchtlingskonvention. Menschen, die in Europa Schutz suchen, werden mit Tränengas und scharfer Munition beschossen, zusammengeschlagen, ausgezogen und illegal über die Grenze zurückgeschoben. Das Recht auf Asyl wurde in Griechenland einfach suspendiert und Menschenrechte ausgesetzt. Dieser Skandal verdient all unsere Aufmerksamkeit und die offensichtlichen Rechtsbrüche müssen verfolgt und aufgeklärt werden", so der Rechtswissenschaftler Robert Nestler.

Sofortiges Ende des EU-Türkei-Deals

Während am Dienstag Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron mit dem türkischen Staatsoberhaupt Erdogan über eine Aktualisierung des Deals verhandelten, fordern die Unterzeichner das „sofortige Ende der Vereinbarung und einen Stopp der Gewalt gegen Migranten an den Außengrenzen. „Der EU-Türkei Deal hat noch nie wirklich funktioniert. Allerdings hat er erneut einem autoritären Regime Macht über die europäische Politik gegeben. Und Erdogan hat diese Macht schon oft ‒ nicht zuletzt beim Krieg gegen die Kurden ‒ ausgenutzt. Jetzt hat er erneut seinen Drohungen Taten folgen lassen. Dabei ging es ihm immer nur um Bilder, es war eine schreckliche Inszenierung auf dem Rücken der Fliehenden. Doch es ist Europas Migrationspolitik selbst, die ihm die Macht dazu in die Hand gelegt hat", sagt die Migrationsforscherin Prof. Sabine Hess.