Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hat die Zustimmung der Türkei zum NATO-Beitritt Schwedens bis zum kommenden Gipfel im Juli in Zweifel gezogen. „Schweden hat Erwartungen, aber das bedeutet nicht, dass wir uns an diese Erwartungen halten“, sagte Erdoğan am Mittwoch nach einer Aserbaidschan-Reise vor Journalisten. Schweden hofft, bis zum Gipfel des Verteidigungsbündnisses, der in vier Wochen in der litauischen Hauptstadt Vilnius stattfindet, Mitglied der Allianz zu werden.
Erdoğan warf der Regierung in Stockholm zudem erneut vor, nicht entschieden genug gegen „Terrororganisationen“ vorzugehen – gemeint sind unter anderem die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Nord- und Ostsyrien. Die Türkei fordert vor diesem Hintergrund auch immer wieder Auslieferungen von Oppositionellen und Geflüchteten mit kurdischem Hintergrund, die von Ankara mit einem „Terror”-Etikett versehen wurden.
Erdoğan verlangte heute von Schweden auch die Unterbindung von „antitürkischen“ Demonstrationen in Stockholm. Dort hatte es in den vergangenen Monaten immer wieder Proteste gegeben, die sich unter anderem gegen die Türkei-Politik Schwedens, den geplanten NATO-Beitritt des Landes und die Verschärfung der Terrorgesetze richteten. Eine größere Demonstration hatte es zuletzt am 4. Juni unter dem Motto „Nein zur NATO, keine Erdoğan-Gesetze in Schweden“ gegeben, organisiert vom Netzwerk Alliance against NATO. Zur gleichen Zeit hatte sich der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses, Jens Stoltenberg, in Istanbul mit Erdoğan getroffen und die Demonstration kriminalisiert.
Schweden hat vor kurzem als Reaktion auf die Bedingungen der Türkei für die Genehmigung der NATO-Mitgliedschaft des nordischen Landes ein strengeres Antiterrorismusgesetz erlassen. Der erweiterte Geltungsbereich des Gesetzes umfasst die Kriminalisierung aller Aktivitäten, die als Unterstützung der PKK interpretiert werden können. Das Oberste Gericht Schwedens genehmigte nur wenige Tage nach Inkrafttreten der neuen Terrorgesetze bereits die Auslieferung eines angeblichen PKK-Anhängers an die Türkei. Des Weiteren hat die schwedische Staatsanwaltschaft einen vierzig Jahre alten Kurden angeklagt, dem unter anderem ein Versuch der Finanzierung der PKK vorgeworfen wird. Es ist das erste Mal überhaupt, dass sich jemand in Schweden unter dieser Anschuldigung vor Gericht verantworten soll.
Unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hatte Schweden im Mai 2022 ebenso wie Finnland die Mitgliedschaft in der NATO beantragt. Finnland ist seit Anfang April Mitglied, Schweden fehlt dagegen weiter die Zustimmung der Türkei und Ungarns. Heute verhandelten Vertreter der NATO, Schwedens und Finnlands mit dem Chefberater Erdoğans erneut in Ankara gemeinsam über den Beitritt.