Erçe: Forderungen der alevitischen Verbände müssen ins Wahlprogramm

Cuma Erçe, Vorsitzender des Kulturvereins Pir Sultan Abdal, betont, die Aufstellung von alevitischen Kandidat:innen reiche nicht aus. Stattdessen müssten die Grundforderungen der Alevit:innen ins Wahlprogramm. Auch nach den Wahlen geht der Kampf weiter.

Die alevitische Gemeinschaft in der Türkei und Nordkurdistan hat besonders unter den Verfolgungswellen durch die türkische Republik gelitten. Vom Dersim-Genozid 1938 über die Massaker von Maraş und Sivas zieht sich eine Blutspur durch die Geschichte der türkischen Republik. Die Alevit:innen kämpfen gegen Assimilation und Vernichtung. In den vergangenen 21 Jahren AKP-Herrschaft hat sich die antialevitische Politik verschärft. Daher werden die Wahlen am 14. Mai auch von einem Großteil der alevitischen Bevölkerung als Schicksalswahlen wahrgenommen.

Keine Wahlempfehlung ohne Aufnahme der Forderungen ins Wahlprogramm“

Die alevitischen Verbände haben fünf Grundforderungen, die sie an die zu den Wahlen am 14. Mai antretenden Parteien stellen. Der Vorsitzende des Kulturvereins Pir Sultan Abdal, Cuma Erçe, unterstreicht im ANF-Gespräch, dass Parteien, welche diese Forderungen nicht in ihrem Programm haben, keine Wahlempfehlung erhalten werden. Aufgrund des säkularen Kurses der CHP hatten viele Alevit:innen die sozialdemokratisch-kemalistische Partei unterstützt. Erçe erklärt: „Wir sind kein politischer Hinterhof irgendwelcher Parteien. Niemand sollte die Stimmen der Alevitinnen und Aleviten als im Kinderspiel zu gewinnen betrachten. Es gibt Parteien, die uns in ihren Wahlprogrammen mit konsequenzlosen Phrasen bedenken. Uns freundlich gegenüberstehende Parteien sollten jedoch bedenken, dass wir nicht nur nach der Logik ‚Erdoğan muss weg‘ stimmen werden. Diejenigen, die unsere Forderungen in ihren Programmen widerspiegeln, die furchtlos sind, die sich nicht unter Druck setzen lassen und sich fragen, was diese oder jene Gruppe sagen wird, diese sind unsere Gesprächspartnerinnen und -partner. Wir haben eine klare Haltung, und alle, die um unsere Stimmen werben, sollten klarstellen, dass sie die Grundlage für eine gleichberechtigte Bürgerschaft für Alevitinnen und Aleviten in diesem Land schaffen und sie verfassungsmäßig garantieren.“

Entscheidend für das zweite Jahrhundert der Republik“

Erçe unterstreicht, dass die monistische Haltung des türkischen Staates nicht erst mit der AKP-Herrschaft begonnen habe. Trotz proklamiertem Laizismus wurden seit der Gründung der Republik alle Religionen jenseits des sunnitischen Islams diskriminiert und angegriffen und es wurde versucht, alle Identitäten und Sprachen jenseits der Türkischen auszulöschen. Die anstehenden Wahlen stellen für die alevitischen Verbände eine Weichenstellung für die Zukunft dar. Erçe erklärt: „Bei jeder Wahl sagen wir, dass es sich um eine sehr kritische Wahl handelt, dieses Mal ist die Situation aber besonders kritisch. Wir haben es mit einem Land zu tun, in dem das Leben durch die monistische Mentalität, die in den letzten 21 Jahre geprägt wurde, unerträglich geworden ist. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die monistische Mentalität nicht erst mit der AKP begonnen hat. Seit langer Zeit wird die Türkei mit einer rechten, rassistischen, monistischem, patriarchalen und türkisch-islamistischen Mentalität beherrscht. In den letzten 21 Jahren hat das Ein-Mann-Regime dies auf eine Weise kondensiert, so dass die Gesellschaft polarisiert und gespalten wurde. Wir alle wissen, dass dies ein Schritt weiter in die Diktatur ist. Ich sage das für alle Menschen in der Türkei: Es ist notwendig, diesem Regime an der Wahlurne eine kräftige Ohrfeige zu geben. Wir sollten für die Zeit nach den Wahlen kein allzu rosiges Bild malen. Nehmen wir an, dass am Abend des 14. Mai die derzeitige Regierung durch Wahlen abgesetzt wird, so bedeutet das nicht, dass alles gelöst ist. Unsere bestehenden Forderungen müssen nach den Wahlen weiterverfolgt werden. Wenn die Menschen, die wir am 14. Mai gewählt haben werden, eine Weiterführung des aktuellen Systems in einer anderen Farbe umsetzen, dann müssen wir uns dem mit aller Kraft widersetzen.“

Die fünf Forderungen der alevitischen Gemeinschaft

Erçe berichtet von den fünf Grundforderungen der alevitischen Verbände. Die Aufstellung einiger alevitischer Kandidat:innen reiche nicht aus, stattdessen sei die Aufnahme dieser Forderungen ins Wahlprogramm Grundvoraussetzung für eine Wahlempfehlung durch die Verbände.

Die Forderungen lauten:

  • „Wir fordern die Abschaffung der Religionsbehörde Diyanet. Sie ist zur größten Assimilationsinstitution für Alevit:innen und nicht-islamische Menschen in dieser Gesellschaft geworden ist. Die Diyanet gibt heute Fatwas heraus, durch die regiert wird. Sie steht Vernunft und Wissenschaft im Wege.

  • Wir fordern die Abschaffung des obligatorischen Religionsunterrichts. Dieser Religionsunterricht ist ein schreckliches Instrument der Assimilation, insbesondere gegenüber Alevit:innen und anderen nicht-islamischen Gruppen. Der verpflichtende Religionsunterricht ist ein Hindernis für ein wissenschaftliches und modernes Bildungssystem.

  • Wir fordern die Rückgabe aller geraubten und beschlagnahmten Glaubenszentren und Dergah. Alle, insbesondere das Hacı Bektaş Veli Dergah, müssen an die alevitischen Institutionen übergeben werden.

  • Wir wollen, dass unsere Cem-Häuser als religiöse Stätten anerkannt werden und das verfassungsmäßig garantiert wird. Wir fordern die Schließung der von der AKP innerhalb des Kulturministeriums eingerichteten Abteilung für die Cem-Häuser.

  • Seit 30 Jahren fordern wir die Gerechtigkeit für das Madımak-Massaker. Wir fordern, dass es als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt wird und nicht zur Verjährung ausgesetzt wird. Wir fordern, dass das Hotel Madımak in ein Museum der Schande verwandelt wird.“