Durakoğlu: Ankara hat sich als Polizeistaat herausgestellt

Zurück vom Sternmarsch nach Ankara erklärt der Istanbuler Anwaltskammervorsitzende Mehmet Durakoğlu, vor der Hauptstadt der Türkei einen Polizeistaat vorgefunden zu haben.

Vertreterinnen und Vertreter von 53 Anwaltskammern aus der ganzen Türkei und Nordkurdistan haben in den vergangenen Tagen an einem Sternmarsch auf Ankara teilgenommen. Mit der Demonstration protestierten die Verbände gegen ein Gesetzesvorhaben des Erdoğan-Regimes, mit dem die unbequemen Anwaltskammern unter staatliche Kontrolle gebracht werden sollen. Der Marsch für eine unabhängige Justiz war auf dem gesamten Weg mit Repression konfrontiert und zum Schluss über 28 Stunden an der Stadtgrenze von Ankara festgehalten worden.

Durch Widerstand werden wir siegen“

Bei seiner Rückkehr von dem fünftägigen Marsch wurde der Vorsitzende der Anwaltskammer von Istanbul, Mehmet Durakoğlu, begeistert vor dem Büro auf der Einkaufsmeile Istiklal Caddesi im zentralen Stadtteil Beyoğlu empfangen. An der Begrüßung nahmen die HDP-Abgeordnete Oya Ersoy, der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkoğlu und viele weitere Vertreterinnen und Vertreter von Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen teil. Die Protestierenden trugen Bilder der inhaftierten Anwält*innen Ebru Timtik und Aytaç Ünsal, die sich beide zurzeit im Todesfasten befinden. Sie riefen Parolen wie „Die Verteidigung wird niemals schweigen“, „Die revolutionären Anwält*innen sind unsere Ehre“ und „Durch Widerstand werden wir siegen“.

Werden niemals aufgeben“

Durakoğlu hielt vor dem Büro der Istanbuler Anwaltskammer eine Ansprache und betonte, dass die Demonstration trotz aller Behinderungsversuche des Regimes durchgesetzt wurde. Die Anwältinnen und Anwälte, die sich um nichts weiter als die Schaffung eines Rechtsstaats bemühten, seien in Ankara mit „einem Polizeistaat“ konfrontiert worden.

Alle werden erkennen, dass sich die Anwälte nicht beugen“

Der Anwalt wies darauf hin, dass die Polizei unter Missachtung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des türkischen Verfassungsgerichts das Demonstrationsrecht mit Füßen getreten habe. „Sie schicken 50 bis 60 Vorsitzende von Anwaltskammern weg, kesseln sie ein. Ist so etwas vorstellbar? So etwas gibt es nirgends in der Türkei, aber in Ankara ist es das Selbstverständnis des Staates und der Sicherheitskräfte. Es ist ein Polizeistaat, fast eine andere Republik. Niemand sollte erwarten, dass sich die Vorsitzenden der Anwaltskammern angesichts dieser Gesetzlosigkeit zurückziehen. Wir würden dort auch acht Monate warten. Jeder wird erkennen, dass man die Verteidigung nicht zum Schweigen bringen kann, dass sich die Anwälte nicht ergeben oder aufgeben werden.“

Niemals ergeben“

Durakoğlu berichtete zudem, dass die Anwältinnen und Anwälte 28 Stunden ohne Decken, Stühle und andere Utensilien ausharren mussten, die ihnen geschickt, aber von der Polizei einbehalten wurden. Auch ein angrenzendes Café sei geschlossen worden, damit sie sich dort nicht mit warmen Getränken versorgen können. Sie hätten trotzdem nicht aufgegeben. Das Regime habe die Staatsanwaltschaft und die Richterschaft unter seine Kontrolle gestellt, dies werde aber nicht mit den Anwaltskammern geschehen. „Denn wenn wir aufgeben, dann gibt es kein Recht und keine Gerechtigkeit mehr“. So habe man sich auch vom Putsch 1980 nicht in die Knie zwingen lassen. „Es gibt keinen individuellen Weg zur Befreiung – entweder alle oder keine“, hallte es am Ende der Kundgebung durch die belebte Istanbuler Straße.