Dr. Maraz: Die Rojava-Revolution ist überall zu spüren

Am Montag starteten rund 1000 Menschen in Lausanne einen langen Marsch nach Genf, um die Vereinten Nationen zum Handeln für den nordsyrischen Kanton Efrîn aufzufordern. Einer der Marschteilnehmer*innen ist der Akademiker Dr. Daniel Maraz aus Argentinien.

Das europaweite Solidaritätsbündnis für Efrîn, in dem sich 82 Organisationen und Einrichtungen zusammengeschlossen haben, hat am gestrigen Montag einen langen Marsch zum Sitz der UN in Genf begonnen. An dem Marsch beteiligen sich rund 1000 Menschen aus 37 verschiedenen Ländern. Unter ihnen auch 200 Internationalist*innen aus 17 Ländern, die an dem traditionellen, langen Marsch für die Freiheit Abdullah Öcalans teilnehmen. Der lange Marsch für die Freiheit Abdullah Öcalans hatte schon am 8. Februar begonnen. Nun haben sich beide Märsche verbunden und gestärkt den Weg nach Genf angetreten.

Dr. Maraz ist dieses Jahr zum zweiten Mal dabei. Er sagt, dass er den kurdischen Befreiungskampf unterstütze und sich als Arzt gleichzeitig um die gesundheitliche Versorgung der Aktivist*innen kümmern wolle. Wir haben mit Dr. Maraz über die Revolution in Rojava und Abdullah Öcalans Paradigma des Demokratischen Konföderalismus gesprochen.

 

Seit wann kennen Sie die Kurd*innen?

Das ist nun zehn Jahre her. Damals lernte ich einen Kurden kennen, der hier lebte. Dieser Freund hat mir viel vom kurdischen Volk und seinem Kampf für Freiheit erzählt. Das erweckte mein Interesse. Als ich in den folgenden Jahren auf Abdullah Öcalans Paradigma des Demokratischen Konföderalismus stieß, war ich sehr angetan. Die Suche nach einer moralischen und politischen Gesellschaft, der demokratische Sozialismus, das Konzept des Gesellschaftsaufbaus, die Frauenwissenschaften (Jineolojî ), die als Grundlage die Freiheit der Frauen und die Frauenrevolution haben, beeindruckten mich tief. Insbesondere der Erfolg im Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus im Mittleren Osten ist bemerkenswert. Die Tatsache, dass die kurdische Freiheitsbewegung seit vielen Jahren Widerstand leistet und ein neues System auf eben diesen Grundlagen aufbaut, ist ein großer Schritt.

Wir wird die Revolution in Rojava in Lateinamerika betrachtet?

Die Rojava-Revolution steht für uns im Mittelpunkt des Interesses. Der Widerstand, der dort geleistet wurde und wird, ist auch auf unserem Kontinent zu spüren. Für das kurdische Volk ist die Revolution in Rojava eine große Errungenschaft und auch für uns stellt sie einen äußerst wichtigen Bezugspunkt dar. Sowohl in Lateinamerika, als auch in vielen anderen Teilen der Welt ist das so. Dass heute internationalistische Revolutionär*innen aus aller Welt für Rojava zusammengekommen sind, ist ein Beispiel dafür. Die Revolution, die durch die Ideen und Werke Öcalans entstanden ist, hat eine große Perspektive eröffnet. Mit seinen Angriffe zielt der türkische Staat nun darauf ab diese zu zerstören. Die kapitalistische Moderne, deren Ursprung im Nationalstaat zu finden ist, findet seit 200 Jahren keine Auswege für ihre Probleme. Dabei ist die Lösung ganz einfach: der Demokratische Konföderalismus. Sowohl für Kurdistan, den Mittleren Osten, als auch Lateinamerika stellt dieser eine Alternative dar.

Was macht das System des Nationalstaates mit den Völkern?

Dutzende Ethnien, religiöse Minderheiten und kulturelle Unterschiedlichkeiten werden leider der Politik des Nationalstattes geopfert. Die Menschen verlieren ihre Geschichte, ihre Identität, ihre Bräuche und ihre Kultur. Das revolutionäre Projekt in Rojava hingegen lässt all das wieder aufleben. Die Menschen kehren zurück zu den Wurzeln ihrer eigenen Sprache und Kultur. Deshalb wird dieses Projekt auch bei den indigenen Völkern Lateinamerikas anwendbar sein.

Efrîn wird vom türkischen Staat angegriffen. Was bezweckt die türkische Regierung Ihrer Meinung nach mit diesen Angriffen?

Der terroristische, türkische Staat unter der Federführung Erdogans, mit den dschihadistischen Banden an seiner Seite, zielt mit seinen Angriffen auf Rojava und Efrîn auf das gesamte kurdische Volk ab. Der türkische Staat ist in Panik. Aber nicht nur der türkische Staat ist in Panik geraten, sondern auch all die anderen kapitalistischen und imperialistischen Staaten, weil sie das Modell des demokratischen Konföderalismus für sich selbst gefährlich finden. Ihr Schweigen und ihre Unterstützung für die Türkei muss man in diesem Kontext betrachten. In Efrîn prallen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite steht das System des Nationalstaates mit all seinen imperialistischen und kapitalistischen Kräften und auf der anderen Seite steht ein neues Projekt des Demokratischen Konföderalismus basierend auf einer freiheitlichen, gleichberechtigten und politisch moralischen Gesellschaft.

Sie haben auch im vergangenen Jahr an dem Marsch teilgenommen. Können Sie in diesem Jahr Unterschiede erkennen?

Im Vergleich zum letzten Jahr gibt es in diesem Jahr eine stärkere und breitere Beteiligung. Die Teilnehmer*innen sind aus vielen verschiedenen Ländern. Dies zeigt, wie weit sich die Idee des Demokratischen Konföderalismus verbreitet hat. Das kurdische Volk hat jetzt mehr Freund*innen, vor allem in Lateinamerika. Ich möchte ganz besonders betonen, dass ich bereit bin, alles was von mir erwartet wird zu tun.

Es gibt keine Informationen über die Situation von Abdullah Öcalan. Trotzdem schweigen Institutionen wie das CPT beharrlich.

Ich verurteile die Isolationshaft, in der sich Öcalan befindet. Besonders für den Frieden wäre es notwendig, so schnell wie möglich Gespräche mit Öcalan zu führen. Wir Internationalist*innen teilen die Sorge um Öcalan und sind auch aus diesem Grund hier. Die Isolation von Öcalan verstößt gegen internationales Recht. Menschenrechtsvereine- und institutionen hätten sich schon lange einschalten müssen und sollten es spätestens jetzt tun.