Doppelte Diskriminierung als Migrant und Erdbebenopfer

Mehmet Shehyar aus Aleppo ist sowohl Migrant als auch Erdbebenopfer. Der syrische Modedesigner lebt mit seiner Familie in Antakya und bekommt keine Genehmigung, um zur Arbeit nach Istanbul zu reisen.

In der Türkei werden Geflüchtete bei jeder Gelegenheit zum Sündenbock gemacht. Sowohl die Regierung als auch die Oppositionspartei CHP drohen ihnen mit rechtsextremer Propaganda in Wahlversprechen mit der Abschiebung in ihre Herkunftsländer. Selbst bei einer großen Katastrophe wie einem Erdbeben werden sie systematisch diskriminiert. Um innerhalb des Landes in eine andere Provinz zu reisen, brauchen sie seit 2017 eine Genehmigung der Direktion für Migrationsmanagement des Innenministeriums. Für das Verlassen der von dem Erdbeben betroffenen Region sind sie auf eine 60-Tage-Genehmigung angewiesen.

Mehmet Shehyar aus Aleppo ist sowohl Migrant als auch Erdbebenopfer und hat sich gegenüber ANF zu seiner Lage geäußert. Der Syrer ist Damenbekleidungsdesigner und ist bereits 2009, also vor dem Krieg in Syrien, in die Türkei gekommen, um zu arbeiten. Er sagt, er habe eine Arbeitserlaubnis erhalten und in einer Textilwerkstatt in Istanbul gearbeitet und keine Probleme gehabt. Nach dem Ausbruch des Krieges in Syrien im Jahr 2011 musste er seine Familie aus Aleppo in die Türkei holen. Seine Kinder wurden in Hatay eingeschult. Wie er berichtet, wurde sein Leben 2017 auf den Kopf gestellt, als die Migrationsbehörde des Innenministeriums beschloss, dass Syrer, die von einer Provinz in eine andere fahren wollten, eine Reisegenehmigung benötigen: „Um von einer Provinz in eine andere zu reisen, muss man eine Genehmigung bei der Direktion für Migrationsmanagement beantragen. Und selbst dann wird die Erlaubnis nur für 15 Tage erteilt. Ich konnte nur nach Istanbul fahren, wenn ich die Erlaubnis der Einwanderungsbehörde in Hatay, wo ich registriert bin, eingeholt hatte. Das galt selbst für eine medizinische Behandlung."

Diese Maßnahme aus dem Jahr 2017 habe das Recht auf Freizügigkeit beschnitten und sei durch eine andere Entscheidung der Direktion für Migrationsmanagement nach dem Erdbeben noch verschärft worden, berichtet Shehyar: „Ich war während des Erdbebens in Istanbul. Meiner Frau und meinen Kindern in Antakya ist zum Glück nichts passiert, aber das Haus, in dem wir wohnten, wurde stark beschädigt. Sobald ich davon erfuhr, kehrte ich nach Antakya zurück. Nach dem Erdbeben hat die Migrationsbehörde eine weitere Sondermaßnahme für Syrer angeordnet. Da wir nirgendwo unterkommen konnten, bat ich um die Erlaubnis, zu meiner Mutter nach Afyon zu gehen. Wir konnten dort jedoch nur 30 Tage bleiben, weil es keine Arbeit und kein Geld gab. Mein beschädigtes Haus und all mein Hab und Gut sind hier. Ich musste mit meiner Familie nach Antakya zurückkommen, aber jetzt kann ich nicht mehr nach Istanbul fahren, weil ich keine Genehmigung bekomme. Mir sind die Hände gebunden."

Shehyar ist mit seiner Familie in einem Zelt an einem der von politischen Parteien eingerichteten Solidaritäts- und Hilfsverteilungspunkten in Hatay untergebracht. Der türkischen Regierung wirft er eine diskriminierende Praxis gegenüber Syrer:innen vor. „Ich bin als Syrer geboren, was ist mein Verbrechen?", fragt Şehyar und erklärt: „Ich bin Designer für Frauenkleidung, ich zeichne Modelle, stelle Muster her und entwerfe sie. Alles hier ist zerstört, es gibt keine Arbeit. Ich muss nach Istanbul gehen, um dort zu arbeiten, aber das ist mir nicht erlaubt. Wir sind obdachlos, wie lange sollen wir in einem Zelt leben? Auch die Kinder haben keine Schule mehr. Wir brauchen zumindest einen Wohncontainer, und ich hoffe, es wird nicht wieder diskriminiert. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin sowohl Migrant als auch ein Erdbebenopfer. Meine Familie ist von einem Krieg und einem Erdbeben betroffen. Das Erdbeben ist schlimmer als der Krieg. Haben wir als Syrer nicht das Recht auf Leben? Ist es das, was wir unter dieser Praxis verstehen sollten? Ich möchte, dass diese diskriminierende Praxis aufgehoben wird."