„Die politischen Machthaber intervenieren in den Prozess“

Kurz vor der Urteilsverkündung ist der Richter im Prozess um den Tod des 14-jährigen Berkin Elvan in Istanbul versetzt worden. Rechtsanwalt Can Atalay beschuldigt die politischen Machthaber, in das Verfahren einzugreifen.

In Istanbul hat die 18. Hauptverhandlung im Prozess um den Tod von Berkin Elvan stattgefunden. Der 14-Jährige war 2013 während des Gezi-Aufstands durch eine von der Polizei abgefeuerte Gaskartusche schwer verletzt worden und lag vor seinem Tod 269 Tage im Koma. An der Gerichtsverhandlung konnte aufgrund der Corona-Beschränkungen nur eine begrenzte Anzahl Personen teilnehmen, darunter Berkins Vater Sami Elvan und die Istanbuler CHP-Vorsitzende Canan Kaftancıoğlu. Berkins Mutter Gülsüm Elvan wartete während der Verhandlung zusammen mit Unterstützer*innen von den „Akademikern für Frieden“ und der Initiative der Samstagmütter sowie Einzelpersonen vor dem Gerichtsgebäude.

Der angeklagte Polizist Fatih Dalgali nahm an dem Prozess über eine Videoschaltung von seinem Einsatzort in Wan teil. Der Vorsitzende Richter ist vergangene Woche an den Kassationsgerichtshof berufen worden, daher übernahm ein anderer Richter den Vorsitz. Da außerdem der Staatsanwalt mit dem Coronavirus infiziert ist, wurde die Verhandlung auf den 29. Januar 2021 vertagt.

Wir wollen Gerechtigkeit“

Rechtsanwalt Can Atalay, der die Familie Elvan vertritt, reagierte empört auf diese Entwicklungen und gab im Anschluss an die Verhandlung eine Erklärung vor dem Gerichtsgebäude ab. Die politische Macht habe von Beginn an in den Prozess interveniert und die Versetzung des Richters kurz vor der Urteilsfassung sei ein weiterer Beleg dafür, erklärte Atalay: „Wir wollen Gerechtigkeit. Wir wollen, dass die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass ein 14-jähriger Junge auf offener Straße ganz in der Nähe seiner Wohnung ermordet wird.“ Die politischen Machthaber hätten seit Juni 2013 alles getan, um eine Verurteilung der Verantwortlichen zu verhindern, wiederholte der Rechtsanwalt.

Die Eltern von Berkin Elvan kündigten an, weiter für Gerechtigkeit zu kämpfen. „Unser Schmerz hört seit sieben Jahren nicht auf. Wir wissen, dass Berkin nicht zurückkommen wird, aber wir wollen auch nicht, dass andere Familien ein solches Leid erfahren“, sagte Sami Elvan. Angeklagt sei nur der Polizist, der die Gaspatrone abgefeuert habe, die Familie wolle jedoch auch die Befehlshaber vor Gericht sehen.

Gülsüm Elvan richtete das Wort an den türkischen Präsidenten: „Recep Tayyip Erdogan, du hat mir mein Kind genommen, gib mir wenigstens Gerechtigkeit. Ich will Gerechtigkeit.“